Stille hörbar gemacht

Le Sacre du Printemps und Bruckners 3. mit Lorin Maazel und den Wiener Philharmonikern

von Peter Bilsing
Stille hörbar gemacht
 
Die Wiener Philharmoniker unter Lorin Maazel
in der Essener Philharmonie
 
Strawinskys Le Sacre du Printemps & Bruckners Sinfonie Nr.3
 

Quizfrage: Wer hat 32 gigantische und hinreißende Sinfonien im Mahler-Format geschrieben und ist hierzulande völlig unbekannt? Ein Engländer (1876-1976). Antwort am Schluß.
 
Die Wiener Philharmoniker ließen bitten; endlich auch einmal in der schönsten und akustisch besten

Foto © Diemar Scholz / Philharmonie Essen
Tonhalle Deutschlands in Essen. Gefördert von der NATIONAL-BANK AG lagen
am 23. Februar die Preise noch relativ publikumsfreundlich zwischen 150 und 20 Euro; da spreche noch einer von vom Bürger nicht bezahlbarer Spitzenkultur. Ich erinnere noch gut daran, daß man den großen Pavarotti kaum je unter einem dreistelligen Betrag live zu hören bekam, letztlich nur noch in Fußballstadien. Es gab sogar noch ein paar Restkarten im Billigsegment, wobei die Karten auf der Chorempore von Angesicht zu Angesicht mit dem Dirigenten nicht die schlechtesten sind.
 
Was nun soll ein Kritiker ernsthaft kritikastern, wenn eines der besten Orchester der Welt mit einem der größten und letzten Giganten am Dirigierpult, Lorin Maazel, aufspielt? Nichts! Ich gebe mich hin und lasse mich berauschen von perfekter Musik, bestens aufspielenden konzentrierten Spitzenmusikern und einem auf den Punkt stimmigen Zusammenspiel der Tutti-Massen. Nach geradezu überwältigen Fortissimo-Ausbrüchen ist man binnen einer hundertstel Sekunde wieder im gehauchten Pianissimo – so wird Stille beinahe hörbar.

Konzentrierte Rhythmen im ersten Teil bei Igor Strawinsky Frühlingsopfer und golden strahlendes Blech im zweiten bei Bruckners 3. Sinfonie. Fehlerlos, tadellos, vorbildlich und göttergleich musiziert– das Maß der Dinge, besser kann klassische Musik nicht aufgeführt werden. In dieser Kombination und blitzsauberen Interpretation reiht sich die Bruckner-Wertschöpfung vorgestern Abend in der Essener Philharmonie nahtlos in die Riege genialer Umsetzungen von Brucker-Größen wie Wand oder Celibidache ein. Sonst hat der Kritiker nichts mehr zu sagen, außer…
...daß er sich wünschte (Aber wen schert das? Die Meinung und der Geschmack des Publikums zählt/zahlt ja bei solchen Ereignissen) irgendwann in diesem Leben noch vielleicht einmal ein Programm erleben zu dürfen, welches nicht die immer und immer und immergleichen Werke offeriert. Diesmal waren es neben den erwähnten noch die „selten“ aufgeführte Pastorale Beethovens,

Foto © Diemar Scholz / Philharmonie Essen
Debussys „La Mer“ und die üblichen „Daphnis und Cloe“ Suiten, den Montag mitgerechnet. Na wenigstens diesmal nicht Beethovens 5. und Ravels Bolero.
 
Der Rezensent wäre ja schon mit einer Eigenkomposition Maazels zufrieden gewesen, aber für Interessanteres wie Janacek, Szymanowski oder Boulez (Die Wiener Philhamoniker können tatsächlich auch anders!) muß man wohl nach Wien fahren. Ich wünsche mir, auf so hohem Orchesterniveau Schreker, Krenek, Schostakowitsch, Zemlinsky, Busoni, Korngold, Respighi, Britten, Copland, Yves oder Schnittke zu hören die Gnade haben zu dürfen.

Post Scriptum - die Beantwortung der Eingangsfrage: Havergal Brian!

Redaktion: Frank Becker