Gott

Eine Kurzgeschichte

von Bettina Rosky

Bettina Rosky
Gott

Wenn er gewußt hätte, was Hunger für ein Ge­fühl ist, wäre er gewiß zu Hause geblieben. Aber er konnte sich jetzt nicht beklagen. Bei wem auch, schließlich hat­te er die Regeln selbst aufgestellt Verdammt, davon hatte ihm sein Sohn nichts erzählt, möglicherweise diese wich­tige Information böswillig vorenthalten. Na, dem würde er es zeigen, später. Jetzt mußte erstmal was zu essen her. Beim Gang durch die Stadt war ihm aufgefallen, daß ohne Geld wohl nichts zu machen sei; so hatte er sich das nicht vorgestellt, aber man konnte ja schließlich nicht alles wissen. Pizza vierfünfzig, Pommes rotweiß zwei­vierzig, das billigste waren Brötchen, aber selbst dafür hatte Gott kein Geld.
"Parkplatz Erlöserkirche" stand auf einem blauen Schild. Das klang vielversprechend, fand Gott und sah sich suchend um. An der Wand eines großen Gebäudes entdeckte er sein Logo. Nicht übel, dachte er und ging hinein.

      Drinnen war es dunkel, und Gottes Augen brauch­ten eine Weile, um sich daran zu gewöhnen. Die Sitz­plätze wirkten ungemütlich, und es war kalt. Außer ihm befand sich nur noch eine Person in der Kirche. Auf einem steinernen Sockel direkt am Eingang stand ein kleines Körbchen; nanu, Eintrittsgeld, dachte Gott, als er hineingelinst hatte. Da lagen knapp zwei Mark, nicht grade viel. Als er es nahm, meldete sich eine Stimme in ihm, wie eigenartig, dachte Gott, jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen. Ich werde wohl beichten müssen. Er konnte sich ein Kichern über diesen wirklich guten Witz nicht verkneifen.
Die Person drehte sich um. Aha, eine alte Frau, es würde ganz leicht sein. Er setzte sein salbungsvollstes Gesicht auf und ging zu ihr hin: »Fürchte dich nicht, meine Tochter, denn siehe! ich bin es, der Herr, dein Gott, der nicht säet und erntet doch. Auserwählt bist du unter den Weibern und auserwählt ist dein Haus unter den Häusern, denn siehe!, der Herr, dein Gott, kommt, um bei dir zu übernachten!«

     Die Alte schien zuriefst beglückt über seine Worte, und er dachte bei sich: Sieh mal an, das hast du immer noch drauf. Er klopfte sich anerkennend auf die Schul­ter, aber nur im heiligen Geiste, versteht sich. Er nahm ihren Arm, um sie zu stützen, er trug sogar ihre Einkaufstasche, was tut man nicht alles für ein war­mes Bett und eine Mahlzeit. Gott verstand plötzlich so einiges, und er nahm sich vor, in Zukunft etwas nach­sichtiger mit den Sündern zu sein.
In der Wohnung wartete er, bis sie ihm das Sofa fer­tiggemacht hatte, aß ein paar Wurstbrote, trank etwas Eierlikör, was anderes war nicht da. Der Eierlikör wirkte nicht. Man ist nur einmal jung, dachte Gott und trank noch einen. Dann ging die Alte schlafen, natürlich nicht ohne sich vorher segnen zu lassen, was er routiniert erle­digte. Wenig später war es still.
Es roch nicht gut in diesem Zimmer. Es roch nach nassem Hund, obwohl kein Hund zu sehen war. Ob alte Menschen wohl riechen wie nasse Hunde, dachte Gott, und daß er vielleicht doch lieber in ein Hotel gehen soll­te. Er blickte sich um. Auf der Anrichte, neben einem verblichenen Soldatenfoto, lag ihre Handtasche. Gott stand auf und zog sich leise an.
Bevor er das Haus verließ, steckte er sich die Geld­börse, in der sich dreihundert Mark befanden ein - ohne zu zögern.


© Bettina Rosky­