Klassische Musik im Fernsehen und auf DVD/Blu-ray

Ein Kommentar

von Sibylle Stern
Klassische Musik im Fernsehen
und auf DVD/Blu-ray



Wir konnten die letzten sechs Monate eine Menge Übertragungen oder Aufzeichnungen von Opern aus Wien, Mailand, Aix, Salzburg, Valencia und München auf 3SAT, ARTE oder dem Theaterkanal sehen. Im Sommer 09 wurden erfreulich viele Opern auf diesen Sendern ausgestrahlt. Zu Beginn 2010 wurden dann die zehn der schönsten Opern, von Zusehern ausgewählt, auf 3SAT und dem ZDF Theaterkanal gesendet. Vor den Ausstrahlungen wurden ca. 20-minütige Einführungen gezeigt, die vermutlich bei einigen klassischen Feuilleton-Lesern Unmut erzeugt haben, aber für die waren die Filme auch nicht gedacht, sondern für das Publikum, das nicht die Möglichkeit hat, allzu oft in die Oper zu gehen oder überhaupt nicht. Die Filme waren unterhaltend, enthielten gezielte Informationen über die anschließende Oper und waren optisch nie langweilig.  

I
rritation hat bei dem Kolumnisten die Nennung der drei Träger dieser Ausstrahlungen hervorgerufen: 3SAT, ZDF Theaterkanal und UNITEL CLASSICA. Die Stimme aus dem Off hatte niemals den Namen UNITEL am Ende vorgelesen, sondern nur Classica, der ein Zahlsender und ein Überbleibsel aus der ehemaligen Kirch Medien-Dynastie ist. Auch das war nicht negativ, aber erstaunlich war, wie viele der Produktionen aus dem UNITEL Lizenzstock waren. Keine Produktionen von anderen Produzenten, die dieselben Titel besitzen aber in einigen Fällen wesentlich bessere Aufzeichnungen sind, musikalisch wie szenisch und auch die Bildregie. Die UNITEL ist im klassischen Sinn kein Produzent mehr wie früher, sondern der Verwerter von Produktionen, die Sender wie der ORF, das ZDF, der BR oder andere öffentlich rechtliche Anstalten produziert oder koproduziert haben. Es gibt einige wenige Titel in dem UNITEL Katalog, die ohne Beistellung dieser Sender in den letzten Jahren gedreht wurden, die fallen dann allerdings qualitativ im Bild und insbesondere bei der Tonaufnahme und Mischung im Vergleich zu den anderen erheblich ab ( LUCRETIA und LOHENGRIN aus München, ROSENKAVALIER aus Baden-Baden).

U
nverständlich ist, daß jetzt in Baden-Baden die Münchner ELEKTRA-Inszenierung von Herbert Wernicke aufgezeichnet wird, obwohl im UNITEL Katalog einer der besten Opernfilme aller Zeiten ist, den Götz Friedrich im Studio auf Film gedreht hat und Karl Böhm’s letztes Dirigat war. Die Besetzung ist noch heute unerreicht mit Rysanek, Ligendza, Fischer-Dieskau, Astrid Varnay, Hans Beirer, Josef Greindl sowie den Wiener Philharmonikern. Das Filmmaterial wäre ohne Probleme in High Definition übertragbar, die Toncrew war das legendäre Decca Team, da sollte auch vorzügliches Ausgangsmaterial vorhanden sein.
Der Einwand, daß die Friedrich ELEKTRA im Playback Verfahren aufgenommen wurde, kann nicht gelten, denn die gezeigte BOHEME mit Netrebko und Villarzon war das auch. Wobei dieser Film im Titel sich bei Franco Zeffirelli bedanken sollte, denn die Ähnlichkeiten mit dessen alter Wiener, Mailänder und New Yorker Inszenierung waren ziemlich offenkundig.

Den Gewinner des oben angesprochenen Festivals, die wunderbare TRAVIATA-Inszenierung von Willy Decker in Salzburg, hat der ORF aufgenommen.
Die Idee des Festivals oder Serie ist ein enormer und sehr guter Schritt, denn dadurch können viele Menschen, die der Oper im Allgemeinen nicht nahe stehen oder aus finanziellen Gründen nicht in Vorstellungen gehen können, Opern kennenlernen. Schön wäre, wenn sich die beiden öffentlich rechtlichen Sender bei einer Wiederholung dieses Konzepts, für Produktionen öffnen würden, die nicht unter die UNITEL Vernetzung fallen. Der Valencia RING ist ein interessantes Beispiel. Diese Inszenierung wurde von der UNITEL in Zusammenarbeit mit den oben genannten Sendern aufgezeichnet. Der einzige Aspekt, der dieser Aufzeichnung eine Berechtigung gibt, ist, daß junge Leute, SciFi-Fans, Georg Lucas-Verehrer oder Cirque du Soleil-Fanatiker an die Oper herangeführt werden und Interesse bekommen. Mit der Story der Nibelungensaga hat die Inszenierung nichts zu tun. Nachdem man RHEINGOLD gesehen hat, kann man sich bei den restlichen 12 Stunden zurücklehnen, die Augen schließen und nur die Musik genießen. Die ist immer gut.

D
aß es andere Produktionen gibt, ist bei dem DVD/Blu-ray Angebot der Webseiten von JPC, AMAZON, NAXOS, CROTCHET etc. leicht zu sehen. Auch hier werden viele identische Operntitel angeboten, aber es liegt beim Käufer, sich zu entscheiden, welche er nimmt. Beim Sender hat der TV-Seher keinen Einfluß auf die Auswahl. Die DVD/Blu-ray Anbieter machen allerdings den gleichen Fehler, der zu einem der Sargnägel der CD Industrie wurde: Immer wieder die selben Titel. Es gibt einige wenige Labels, die auch Titel herausbringen, welche nicht unter die dreißig beliebtesten Opern fallen, aber eben noch nicht genug. Allein wenn man die unglaublich spannende Opernszene in Deutschland, Österreich und der Schweiz betrachtet mit ihren über 220 Häusern, die im Schnitt mindest viermal pro Woche Vorstellungen für 500 bis 2000 Theaterbesucher auf die Bühne bringen, kann man sich ausdenken, was da noch möglich ist. Es ist selbstverständlich, daß die Häuser im Repertoire  die Hits haben und haben müssen, aber die Vielfalt ist enorm.

Die fehlt noch bei beiden Medien, DVD und TV, wobei der DVD Markt kontinuierlich wächst, insbesondere durch die Blu-ray, die einen unkomprimierten Ton hat, den die CD nicht bietet. Der Unterschied ist beim Bild durch die HD Technik sichthbar und beim Ton hörbar. Diese Medien haben Möglichkeiten, welche das Theater nicht hat. Der Theaterbesucher kann niemals bei einer intelligenten und guten Inszenierung alle Details auf der Bühne erfassen, denn es geschieht oft sehr viel und der Besucher sieht immer nur die Totale. Durch Nahaufnahmen, unterschiedliche Kamerapositionen und den späteren Schnitt können fast filmische Umsetzungen einer Inszenierung gelingen, die die Bühnenregie nicht verändern, das Produkt dadurch aber noch aufregender als das Live-Erlebnis machen. Beim nächsten Mal sollten sich die Veranstalter überlegen, ob sie nicht wie bei den großen Filmfestivals Beiträge zeigen, die in die Rubrik “out of competition” fallen. Da gäbe es einiges zu entdecken.


Redaktion: Frank Becker