Cole Porter in Frack und Fummel

Barrrie Kosky inszeniert in Köln eine schrille "Kiss Me Kate"

von Peter Bilsing

Koskys große Cole-Porter-Muppet-Show
in Kö
ln
 

„Kiss Me Kate“ Premiere am 30.12.2009 /
Übernahme einer Produktion der Komischen Oper Berlin
 

Musikalische Leitung: Koen Schoots - Inszenierung: Barrie Kosky - Bühne: Klaus Grünberg - Kostüme: Alfred Mayerhofer – Licht: Franck Evin – Choreografie: Otto Pichler – Chorleitung: Alexander Kral
Besetzung: Lilli Vanessi / Katharina: Dagmar Manzel - Fred Graham / Petruchio: Claudio Otelli - Lois Lane / Bianca: Sigalit Feig - Bill Calhoun / Lucentio: Robin Poell - Erster Ganove: Rainer Wöss - Zweiter Ganove: Andreas Glaesmer - Harrison Howell: F. Dion Davis - Gremio: Christian Hante - Hortensio: Silvano Marraffa - Harry Trevor / Baptista: Ulrich Hielscher - Paul, Garderobier: Raphael Wittmer - Hattie, Gardrobiere: Andrea Andonian - Ralph, Inspizient: Hans-Ulrich Schüler
Chor: Chor der Oper Köln – Orchester: Gürzenich-Orchester
 
 
Kölns Oper braucht Publikum

Die Kölner Oper braucht Publikum. Man hat in vielen Jahren sein Stammpublikum vergrätzt; geradezu aus der Oper vertrieben. Die Vertriebenen fanden häufig, so beweglich, passenden Ersatz in Bonn, Düsseldorf oder Essen. Der Niedergang der Kölner Oper hatte unterschiedliche Gründe; ein wesentlicher ist immer noch der ehemalige Lehrer und Ex-Intendant Günther Krämer; von vielen damals, wahrscheinlich zu Unrecht, als „Reclamheft-Krämer“ verspottet. Noch kurz vor seiner Entlassung, resp. Vertrags-Nichtverlängerung, hatte sich der pfiffige Intendant mittels eines genialen politischen Coups über die Grünen, noch für weitere vier Jahre je drei große Produktionen in Schauspiel oder Oper vertraglich zusichern lassen, unter welcher zukünftigen Intendanz auch immer. Das gestaltete die Nachfolgeauswahl natürlich schwer.
 
Intendanten-Roulette

Die letzten Jahre unter der Intendanz von Christoph Damman standen unter einem noch schlechteren Stern. Die Oper brach durch mangelhaftes Qualitätsmanagement und teilweise desaströse Künstler- bzw. Stückeauswahl vollends zusammen. Damman verabschiedete sich schon Anfang 2007 nach Lissabon und das Boot Kölner Oper geriet immer weiter in seichteres Wasser. Produktionen wurden von der Kritik entweder verhöhnt oder ignoriert, bis Uwe Eric Laufenberg in der Saison 2009 das Ruder übernahm. Keine leichte Aufgabe, denn ab 2010 soll das Opernhaus totalsaniert werden und wird gleich für mehrere Jahre dichtgemacht. Ob die große traditionsreiche Kölner Oper, die ehemals zu den fünf besten Häusern Deutschlands zählte, das überleben wird, ist mehr als fraglich, egal wie gut Laufenberg dann auf den Ersatzspielstätten arbeiten wird. Man kann dem Kölner Opernintendanten nur wirklich „Viel Glück“ und „Alles Gute“ von Herzen wünschen und gönnen – selten hätte jemanden den Zusatz „Don Quichotte“ redlicher verdient.
 
Ga-ga

Samstag war Premiere für einen Dauerbrenner, der in Berlin an der Komischen Oper seit 2007 alle Publikumsrekorde brach. Die große Kiss-Me-Kate-Kosky-Revue, mit Musik von Cole Porter in der 1999er Broadway-Big-Band-Fassung und mit den neugestalteten Texten von Susanne Felicitas Wolf, wurde praktisch nahtlos inkl. wichtiger Hauptdarsteller übernommen. Mag der Purist angesichts von Texten wie „Schwestern – wollt ihr etwa Lassie?", „der Typ aus Padua ist ganz ga-ga" oder „ich liebe deinen schiefen Turm von Pisa“ in Kenntnis der intelligenten Porter-Vorlage und noch sehr guten alten Übersetzung auch die Nase rümpfen, das Kölner Publikum zeigte sich begeistert. Brüllendes Gelächter über jeden noch so kleinen Gag - selbst wenn ein gerupftes Suppenhuhn von der Decke fällt, grölt das Publikum. Die Produktion hat anscheinend genau den Humor-Nerv der Zeit getroffen. Es wird in Köln garantiert ein Reißer und sicherlich, wie in Berlin, auch hier von der Theatergemeinde bald zur „besten Produktion des Jahres“ gekürt. Immerhin sitzt doch auch RTL in Köln.
 
Phänomenale Choreographie mit nackten Popöchen

Es ist aber auch fantastisch und mitreißend anzusehen, wie in exorbitanten Glitzerkostümen in einem ständig grellen Broadway-Kosmos, bevölkert mit Cowboys in roten oder schwarzen Pailletten-Outfits ständig „Jippih“ schreiender Männern mit Kunstbärten und Tunten-Makeup, sowie einigen kreischenden Folies-Bergère-Girlies, aufgespielt wird. Im Tanzgewusel köstlich knackiger nackter Popöchen sind auch Frauen dabei, wobei das Letzte nur noch durch dezente String-Tangas verborgen ist, so zelebriert man den Glanz großer Revuen par excellence. Alles hat einen Touch von „Käfig voller Narren“. Der Einklang der Tänzer, ob Squaredance oder große Chorus-Line ist phänomenal. Die Präzision der Linien und Bewegungen sind phantastisch und lassen so manche Tanzriegen lokaler Dornröschen oder Schwanensee Produktionen sicherlich vor Neid erblassen. Eine ganz große Choreographie von Otto Pichler! Auch wenn es gelegentlich beängstigend eng wird, weil die halbe rechte Seite von einer sich aus dem Orchestergraben in hohe Gefilde herausschraubenden weißen Showtreppe eingenommen wird, auf der die Musiker sitzen und spielen. Leider ist die Aussteuerung der Tonanlage, das gilt auch für die Mikroports der Solisten und Choristen, mangelhaft. Das trübt das ansonsten tolle und fetzige Dirigat des erfahrenen Koen Schoots; Flöten und Streicher z. B. verhallen leider ungehört.
 
Muppet-Show und Pailetten-Orgie

Letztlich ist alles wie in einer großen Muppet-Show inszeniert. Daß Solisten in dieser Pailletten-Orgie nicht untergehen, dafür sorgt die fulminante ständig unter Strom stehende Dagmar Manzel als Kate. Praktisch ununterbrochen kreischt, jauchzt und wirbelt sie über die Bühne, verändert ihre Stimme vom Kinderpiepsen zur Dietrich-Persiflage, liebäugelt, reißt die Augen auf, dreht sich selbstverliebt und singt einen bisher unbekannten und so nie gehörten Porter. Ihre Mitspieler wirbeln ihr in nichts nach. Ganz köstlich F. Dion Davies als „Harrison Howell“ – diesmal als schwarzer General in Szene gesetzt, sein Auftritt wird vom Marschtritt des Schlagzeugs und zusätzlichen Militärs begleitet. „links, links, links…“ Das Publikum liegt schier auf dem Boden vor Lachen. Sicherlich als kleiner politischer Seitenhieb und Antikriegs- Mementum gedacht. Ein Bischof oder Kardinal, die meist zweite Zielgruppe Kosky´scher Aperçus, war wohl nicht unterzubringen. Des Regisseurs Vorliebe für Unterwäsche wird wieder ausgiebig gefrönt; da steht die versiffte Grobripp-Garnitur mit halboffenem Unterhosenzugang (Fred Graham) neben kunstvoll plazierten blitzsauber funkelnden Pailletten-Tangas – so ist das Leben! Es mangelt auch nicht an den typischen Kosky-Kisten auf der Bühne.
 
KlatschmArsch am Christopher Street Day - aber Cole Porter ging baden

Keinesfalls wirkt die große Revue wie eine billig erworbene Zweitproduktion, die ja immerhin sogar schon 2008 im TV in 3-Sat lief; dafür hatte die Spielleitung (Anisha Bondy) zu gut gearbeitet. Es war nicht der Schimmer eines Wieder-Aufkochens spürbar. Das gigantische Tanzspektakel mit Gesangseinlagen von Cole Porter kam so feurig rüber, wie bei der Premiere in Berlin. Das anspruchsvolle Kölner Publikum war begeistert. Beifall ohne Ende, Klatschmärsche und unendlicher Jubel für einen ohne Zweifel hin- und mitreißenden Abend, der auch der krönende Abschluß einer gigantischen Love-Parade am Christopher Street Day hätte sein können.
Nur - mit dem titelgebenden Cole Porters Musical „Kiss Me Kate“ hatte das Ganze ansonsten nichts bis wenig gemein.
Hier noch ein kurzer aber sehr aussagekräftiger Eindruck auf YouTube im Internet, bitte Anklicken vor dem Kartenkauf: http://www.youtube.com/watch?v=18AOxseeGNE . Die Kölner Fassung ist, wie gesagt, wirklich kein Deut schlechter.

Weitere Informationen und vielleicht ein paar Bilder unter:
www.operkoeln.com

Redaktion: Frank Becker