Musikstunde: Singen bis der Arzt kommt

Ein paar ernste Worte über die Ausbeutung von Sängern

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Musikstundestunde

Ein paar ernste Worte
über die Ausbeutung von Sängern
und die Einpeitscher im Opern-Geschäft



So, und jetzt möchte ich mal ein paar ernste Worte sagen zu einem Phänomen, das wir alle scheinheilig bedauern, wobei wir ganz vergessen, daß wir selber die Verursacher sind. „Singen, bis der Arzt kommt“ schrieb DIE ZEIT, und drunter ist ein Bild von Rolando Villazon, ein Bild, das ihn zeigt, als wäre er gerade dabei, sich das letzte Beuschel, wie die Wiener sagen, aus dem Hals zu quälen, Gesang als Antiperistaltik sozusagen, ein gemeines Bild. Wer so nach Luft jappt, hat schon lange keine mehr bekommen. Und genau so scheinheilig verweist die gute alte Tante ZEIT auf die Dynamiken, die hinter dem Stimmenauspressen, hinter den Laryngo-Infarkten, hinter den Ex-Und-Hopp Tenören und Sopranen stehen. Und mir, meine sehr geehrten Damen und Herren, reicht es jetzt endgültig mit diesem Pharisäergetue. Zum Kotzen. Natürlich sind daran die ganzen Intendanten, Regisseure und Dirigenten schuld, die, wie der Sängerdoktor, der Wiener Laryngologe Reinhard Kürsten sagt - und er muß es wissen - von Stimmen oft nicht die geringste Ahnung haben. So weit so gut, solche kenne ich auch. Wie viele Dirigenten es gibt, die nicht mit den Sängern atmen können, ist Legion. Schauen Sie mal unter diesem Aspekt Sir Simon Rattle zu, wenn er Sängerinnen oder Sänger zu dirigieren hat: erstaunlich, wie einfühlungsfrei man pinseln kann! Und der ganze Festspielzirkus sei dran schuld, der von Frühjahr bis Herbst die Sänger ja gnadenlos verheize und und und und. Jetzt hat Katharina Wagner in Bayreuth ja sogar die Diskussion angeschoben, ob man nicht die Netrebko für die Rolle der Elsa im Lohengrin nach Bayreuth holen solle, was Eva Wagner-Pasquier konterte mit dem Satz, die solle das doch erstmal in Baden-Baden singen, dann sehe man weiter. Ich meine: dahinter kann nur das verzweifelte Bemühen stehen, Zäpfchen-Touristen und Stimmband-Fetischisten auf den Hügel zu holen, denen egal ist, was so eine Rolle mit der Stimme ihres Stars macht und ob sie für do eine Rolle überhaupt geeignet ist. Ich meine, bei aller Hochachtung: Nein!
 
Aber nie ist die Rede von denen, für die das alles passiert: von uns. Denn wären wir nicht bereit, für die besten Stimmen ein Geld auszugeben, von dem Farinelli nur hätte träumen können - es gäbe das Phänomen des Sich-Ausschreiens überhaupt nicht. Keiner will mehr warten, bis eine Stimme reif ist - aber alle schwärmen von Alfredo Kraus, der mit 63 Jahren noch ein Konzert hinlegte, als stünde er auf der Höhe seiner Stimme, da sang er „una furtiva lacrima“ so, daß ich selbst Tito Schipa sich hinten anstellen lasse. Keiner will also einer Stimme Zeit geben, und alle wollen jeden Abend in der Oper Leistungen hören, die besser sind als alles, was sie auf CD in verstaubten Regalen stehen haben oder zumindest gleich gut. Wir, liebe Freunde der Musikstunde, wir sind die Bestie, wir schreien ins Festspielrund „Panem et circenses“, wir sind die unersättliche Masse, nein, wir sind die Gier. Und weil sie alle an uns verdienen, bedienen sie uns: einen Brocken Fleisch nach dem anderen schmeißen sie uns in die Arena und hoffen, vergeblich, daß die Bestie satt wird. Nein, wir werden nie satt, wenn wir nicht endlich etwas ganz grundsätzliches begreifen und fördern: Oper ist nicht CD, Oper, wie jede Musik, ist lebendig. Und wenn da die Komponenten stimmen, kann ein Abend zu einem Erlebnis werden. Ich habe schöne, große Opernerlebnisse haben dürfen: Abschiedsvorstellung Karajan in der Staatsoper Wien, 1965, Tristan und Isolde mit Windgassen und Nilsson, was da los war, kann man gar nicht beschreiben, oder: Karajan München La Bohème mit der Freni, mit Pavarotti und Gianni Raimondi, 4, vielleicht sogar 5 Minuten nach Ende der Vorstellung war niemand in der Lage zu klatschen, so ergriffen war das ganze Haus, um dann in ein Gebrüll zu münden, das ich auch nie vergessen werde, ja gut, Sternstunden eben. Oder der Trittico vom Herrn Puccini in der Bonner Oper, 15 Jahre her: damals war alles B: das Orchester, das Ensemble, die Sänger etc. Weil aber kein herausstechender Star dabei war, wurde dieser Abend zu einem ganz großen Erlebnis: die Aufführung war so homogen und alle Ausführenden fühlten sich so aufgehoben in dieser Homogenität, keiner war des anderen Feind, keiner stellte Beinchen, alle konnten frei aufmusizieren, es war eine Lust. Auch wenn die meisten diese drei Einakter auf CD zu Hause sicher in besserer Qualität hatten. Mein Vorschlag: kehren wir doch wieder zurück zu „unserer Oper“ in unserem Ort, stützen wir die jungen oder unbekannten Sängerinnen und Sänger, indem wir ihnen die Chance geben, für uns zu singen und schielen wir nicht immer auf die Netrebkos und Villazons. Es ist spannender, es ist uns näher als die kühlen Stars in drei Lichtjahren Entfernung, es kommt damit der Musik und dem Gesamtwerk zugute und wir nehmen den Intendanten und den Managern im Hintergrund langsam aber sicher den Druck, immer die Besten anzubieten und nur noch in der Weltliga zu denken. Und damit tun wir allen gut: den großen Stars in Salzburg oder Bayreuth etc. und unseren Sängern in Bonn, Augsburg, Chemnitz, Siegen, um nur einige zu nennen.
 
Wer mit dem Finger auf die Gierhälse der Bankenwelt zeigt, sollte nicht vergessen, daß drei Finger auf uns zeigen, weil etwas von der Gier in jedem von uns steckt. Dagegen kann man was tun!
 
Ihr
Konrad Beikircher



© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker