Japan in einem Atemzug

Ein Essay über die Haiku Bashos (4)

von Michael Zeller

Foto © Jürgen Kasten
Japan in einem Atemzug

 
 
12.
 
 
     Die Kruste so dünn
Im Erdinneren gärt es
Japans Schlaf ist leicht
 

Die schlanke Inselwelt, die Japan ist, haben Vulkane geschaffen. Das Land ist ursprungsnah,  die Vulkane leben noch. Hier bebt die Erde, wie zu Beginn der Zeiten. So gut es den Menschen möglich ist, hat die Architektur sich darauf eingestellt. Aber immer wieder kocht es im Inneren der Erde hoch, die dünne Kruste zerbricht wie eine Oblate. Ein Stück Küste reißt es ins Meer, Berge bersten, Städte versinken in Schutt und Asche. Bis in unsere Tage hinein.
 
In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat ein Erdbeben Teile der Stadt Kobe verschlungen, sechstausend Menschen fanden den Tod. Was sagt eine solche Zahl?
 
Genug immerhin, daß ich die Fahrt mit dem Schnellzug Shinkansen hier unterbreche.
 
Kobe heute. Eine Stadt wie andere. Was hatte ich erwartet? Keine Spuren geblieben von der Zerstörung, die Katastrophe restlos überbaut. Ein neues Hafengelände posiert mit erfreulich abwechslungsreicher Architektur: Hotels als Hochhäuser, schmucke Einkaufsstraßen und –passagen. Großzügig angelegt Erholungsplätze am Rand des Wassers, auf denen sich – heute ist Sonntag – die Eltern mit ihren Kindern ergehen. Die Herzen geöffnet. Sonne setzt allem ihren Glanz auf. Wahrscheinlich ist es dieser Tage schöner, als es jemals hier war. Der Schrecken damals restlos verzehrt. Kein Gedenkstein, keine Inschrift. Für wen auch? Die Menschen der Stadt wissen es. Sie muß keiner erinnern. Sie nutzen die neugeschaffenen Räume, freuen sich daran. Das ist ihre Stadt. Die Sonne. Das Meer, glatt und ruhig. Ein solcher Friede. Der Kopf muß mir einreden, daß er trügerisch sei. Es sind immer die, die von außen kommen, die Fremden, Unbetroffenen, die sich Sorgen machen. Ohne jede Haftung. Morgen sind sie anderswo. Und die Einheimischen? Die hier leben wollen und hier leben müssen?
 
Sie leben.
 
Land und die Menschen
Auf Vulkane gegründet
ahn ich ein Zittern 
 
 
 
13.
 
 
„Berge stürzen ein, neue Flüsse quellen hervor, Wege vergrasen, in die Erde versunkene Steine werden unsichtbar, Bäume altern und erstehen als junge Triebe verwandelt wieder – so ändern sich die Zeiten und wechseln Menschengenerationen: die verbleibenden Spuren sind meist fraglicher Natur.
‚Das Land ist verwüstet – Berge und Flüsse aber blieben unversehrt – über Burgruinen grünt, wenn der Lenz kommt, nur noch Gras!’ Diese Gedichtworte gingen mir durch den Kopf. Meinen Bambushut unter mir ausgebreitet saß ich da, vergoß Tränen – und vergaß die Zeit:
 
Sommergras ...!
Von all den Ruhmesträumen
die letzte Spur“
 
So steht es in Bashos Bericht von seiner letzten Wanderreise.
 
 
14.
 
 
     Den Vulkanen sei Dank!
 
                                                                         Neben dem Gehweg
dampft es über dem Rinnsal
Fort mit Schuh und Strumpf
 
Heißes Wasser quillt
aus dem Herzen der Erde
dir vor die Füße
 
„Die Nacht verbrachten wir in Iizuka, einem Heißquellenort. Wir stiegen unverzüglich ins heiße Bad. Zwar hatten wir uns regelrecht eingemietet, bekamen aber lediglich eine armselige, heruntergekommene Schlafstätte: auf dem kahlen Fußboden lagen nur dünne Binsenmatten ausgebreitet. Es gab keine Leuchte, und wir mußten , bevor wir uns niederlegen konnten, unser Nachtlager beim Schein der offenen Feuerstelle einrichten.
      Tief in der Nacht kam ein Gewitter auf mit Donner und Blitz; es goß in Strömen, so heftig, daß es von der Decke troff. Zu allem Überfluß gab es auch noch Flöhe und Moskitos, die uns zerstachen. Ich konnte kein Auge schließen. Mein altes chronisches Leiden stellte sich wieder ein – die Schmerzen raubten mir fast die Besinnung.
Als der Morgen graute - die ersten Anzeichen konnte man endlich am Himmel dieser so kurzen Sommernacht ablesen - , brachen wir auf. Wie die Brandung, die auch nach einem Sturm anhält, litt ich noch lange unter den Nachwirkungen meines nächtlichen Anfalls: es wollte und wollte mir nicht besser gehen.
Wir liehen uns Pferde und gelangten zur Wechselstation Kori. Von hier aus lag unser Reiseziel noch in sehr weiter Ferne, und bis dahin mit einem solchen Leiden durchzuhalten? Es wurde mir angst und bange bei diesem Gedanken. Schließlich aber befand ich mich auf einer Wanderübung, ein Wanderer durch weit entlegene Provinzen, der um der Erleuchtung willen der Welt entsagt und sich auch die Idee der Vergänglichkeit stets vergegenwärtigt und der die Möglichkeit, unterwegs zu sterben, hinnimmt als Bestimmung des Himmels.“
 
Bald ist Basho am Ziel.
 
 
15.
 
 
     „Steigbügelschliff“ – ein Wort von vier Silben, aus einem Haiku, fast eine Verszeile lang.
 
Steigbügelschliff?
 
Die Wanderpoeten im alten Japan, auch Basho, waren auf manchem Weg zu Pferde unterwegs, gemietet oder ausgeliehen, wenn ihnen jemand freundlich gesonnen war.
 
„Steigbügelschliff“: Der Hohlweg, den es zu durchqueren galt, war derart eng, daß der Reiter mit seinen Steigbügeln rechts wie links an der Bergwand entlangscheuerte und dabei Spuren im Gestein hinerließ, flüchtige Kratzer. Abends dann, den Pinsel in der Hand, fanden sie sich ein, diese vier Silben, und kamen aufs Papier. Jetzt etwas haltbarer gemacht, für eine Weile oder, wie hier, für ein Drittel Jahrtausend (bis jetzt).
 
Das war doch einen Sake wert, heut Abend.
 
In weitem Bogen
das Schwert aus der Scheide
und kein Klingenstreich!
 
 
16.
 
 
 Leg den Bogen an
den Pfeil, atme und ziel, spann
Dann laß es sinken
 
Von dem Priester-Dichter Noin-hoshi, 989 geboren, erzählt man sich, er sei nicht gerne gereist. „Es heißt, er habe sich lange Zeit vor den Augen der Welt verborgen und die Hände zum Bräunen aus dem Fenster gestreckt, um vortäuschen zu können, er sei auf Reisen gewesen.“
 
Sie blättert nicht ab
die Kamelienblüte
Ganz stürzt sie vom Zweig
 
 
 


 


17.



Ein Haiku Bashos, von seiner Hand.













© Michael Zeller - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker