Lovis Corinth - "Seelenlandschaften"

Walchenseebilder und Selbstbildnisse

von Friederike Hagemeyer
”Das kommende Greisenalter
erfaßt mich”
 
 
Lovis Corinth (1858-1925), „Haudegen, Raufbold und Kraftprotz, der bei Saufgelagen andere unter den Tisch trank“ (S. 76) erkrankt - nur 53 Jahre alt - im Dezember 1911 sehr schwer. Sein Leben hängt an einem seidenen Faden. Zwar erholt er sich bald physisch, doch psychisch hat er einen bleibenden „Knacks“ abbekommen; aus dem lebenslustigen Mann ist ein Grübler geworden, der zu Innerlichkeit, Zweifel, Pessimismus, ja zu Depressionen neigt. Er unternimmt Erholungsreisen nach Italien und Bayern und er besucht seine ostpreußische Heimat.
Seinen 60. Geburtstag feiert Lovis Corinth in Urfeld am Walchensee. Bei der Familienfeier ahnen wohl weder er selber, noch seine Familie oder gar die Gratulanten, daß der Maler am Beginn seines „zweiten Lebens“, am Beginn einer neuen intensiven Schaffensphase steht (S.75). Im Laufe des Jahres 1919 nimmt unter der Leitung seiner tatkräftigen jüngeren Frau, Charlotte Behrend-Corinth, oberhalb des Walchensees ein Sommerhaus für die Familie Gestalt an. Liebevoll wird es „Klitsche" oder „Blockhäuschen“ genannt. Von nun an teilt Corinth sein Leben auf zwischen der Großstadt  - er ist fest in der Berliner Künstlerszene verwurzelt - und dem Landleben in Bayern.
In seinem Werk schlägt sich der jahreszeitliche Wechsel zwischen Hansaviertel und Urfeld immer deutlicher nieder: in den Berliner Gemälden sind zunehmend Ernsthaftigkeit und Nachdenklichkeit zu spüren; „mehr denn je kennzeichnen Geheimnis, Mysterium Transzendenz seine Kunst“ (S. 78). In seinen Selbstporträts schaut ihm immer häufiger der Knochenmann über die Schulter. Die am Walchensee entstehenden Landschaftsbilder, Ölgemälde, Aquarelle, Zeichnungen, hingegen strahlen eine intensive Leuchtkraft aus und zeugen von - vermutlich hart erkämpfter - Lebensbejahung.
 
Dem Kölner Wienand-Verlag und dem Franz-Marc-Museum in Kochel am See ist es zu danken, daß wir diese Gegensätzlichkeit in Lovis Corinths später Schaffensphase nachvollziehen können. Mit „Lovis Corinth. Seelenlandschaften. Walchenseebilder und Selbstbildnisse“ legen sie ein wunderbares Buch vor, in dem man in die Sujets und Maltechniken des Malers im wahrsten Sinne des Wortes „eindringen“ kann. In drei Abschnitten wird das Alterswerk präsentiert: Landschaften, Selbstbildnisse, Stilleben. Jeder Abschnitt wird mit einer Detailaufnahme aus einem der enthaltenen Werke eingeleitet – eine gute Idee, die es auch denjenigen gestattet, sich mit der Malweise Corinths auseinanderzusetzen, die nicht die Möglichkeit haben, die Originale zu betrachten; z.B. ist der „stakkatoartige“ Pinseleinsatz (S. 79) darin deutlich zu erkennen.
 
Eine liebenswerte Überraschung hält der vierte Teil des Bandes bereit. Mit der Erlaubnis des

Lovis Corinth, Selbstbildnis am Walchensee 1924
Sohnes, Thomas Corinth, wird ein Fotoalbum wiedergegeben, das Charlotte Behrend-Corinth beim Bau des Urfelder Sommerhauses anlegt. Es zeigt Fotos vom Bau des Hauses, seinen Bewohnern, auch den Tieren der Familie und von Gästen – ganz so, wie sie wohl jeder von uns aus der eigenen Familie kennt. Die Fotos sind säuberlich beschriftet, so daß auch heute noch Orte und Personen zugeordnet werden können. Dankenswerterweise wurden die in Sütterlin geschriebenen Erläuterungen transkribiert und damit auch für uns Nachgeborene lesbar gemacht.
Insgesamt ist dem Verlag ein schöner Band gelungen; es macht Spaß, darin auf Entdeckungsreise zu gehen.

Seelenlandschaften - Walchenseebilder und Selbstbildnisse von Lovis Corinth
 Hg. Cathrin Klingsöhr-Leroy, Texte von Cathrin Klingsöhr-Leroy, Peter Kropmanns, Marion Poschmann
120 Seiten mit 142 farbigen Abb., 23 x 27,5 cm, Halbleinen
Preis: EUR 29,80 (SFr 49,90), ISBN 978-3-87909-979-5
 
Weitere Informationen unter:
 
© 2009 Friedrike Hagemeyer
Redaktion: Frank Becker