360º und viele Worte oder: Vier Personen suchen einen Sinn

Im Bochumer „Theater unter Tage“: Uraufführung von Daniela Dröschers Stück „Himmelangst“

von Frank Becker
360º und viele Worte oder:
Vier Personen suchen einen Sinn
 
Das Bochumer „Theater unter Tage“
zeigte in einer Uraufführung
Daniela Dröschers Stück „Himmelangst“
 

Regie: Lilli-Hannah Hoepner – Raumkonzept: Thomas Goerge – Kostüme: – Anita Könning – Licht: Danny Klein
Besetzung: Magdalena Helmig (Shirin) – Anna Staab (Rukaya) – Eva Gosciejewicz (Leyla) – Andreas Bittl (Präsident)

Tiefflug
 
Um es gleich zu sagen: es bleibt nicht viel von diesem Theaterstück – wenn man es als solches überhaupt bezeichnen soll, hat man erst einmal das Bühnenrund des Gewölbes unter dem Bochumer Schauspielhaus hinter sich gelassen. Der Plot: die drei persischen Schwestern Shirin al. Gretchen (Magdalena Helmig), Rukaya al. Johanna (Anna Staab) und Leyla al. Lulu (Eva Gosciejewicz) sind Flugbegleiterinnen der „Himmelangst Airlines“, mit der sie mit viel Geschwafel im Übergepäck zu einem wortlastigen (Tief-)Flug abheben. Mitgenommen wird ein Publikum auf Drehstühlen (auf denen Kotztüten ausgelegt waren, die glücklicherweise niemand brauchte), das den handlungsarmen Spielszenen, die an den vier Seiten des Raumes inszeniert sind, um 360º folgen muß. Dumm für die, die dann jeweils hinten sitzen, denn sie sehen vom Geschehen herzlich wenig, spielt es sich doch überwiegend in Bodennähe ab. Kann man auch ambivalent betrachten.
 
Hörspiel

Der Eindruck, ein Hörspiel, ein Stück pubertärer Literatur zu erleben, manifestiert sich im Verlauf der knapp 90 Minuten (keine Pause) der Vorstellung, die man nicht gesehen und auch nicht unbedingt gehört haben muß. Berechtigt, aber viel zu konturlos und ohne politischen oder gesellschaftlichen Biß stimmen die drei ein sattsam bekanntes Lamento über die Unterdrückung der Frauen im islamischen System des Iran an: „Wir jubelten über den Weggang des Schahs und schmückten das Bild des Ajatollah Khomeini mit Blumen. Doch dann schenkte uns Khomeini Kopftücher statt der erhofften Freiheit! – Sie reden und reden und reden mit Worten, die ein Gefängnis bauen- Wächter und Wächterinnen, die argwöhnisch beobachten, ob eine Haarsträhne hervorschaut oder ob man zu lüstern in einen Apfel beißt“. Wissen wir. Das nun wiederum ist ja auch wirklich zum Kotzen und nichts weiter als religiös verbrämter Super-Machismo. Aber hier als Kritik in Form pubertären Aufbegehrens einfach zu flach aufgelegt. Daß die drei Damen sich dazu der beengenden islamistisch korrekten Verhüllung entledigen und als ihre nach Figuren der Theaterliteratur benannten alter egos das Haar schütteln, ist zwar völlig an diesem herbeigezogen, mag aber dramaturgisch noch hingenommen werden. Daß sie dann aber – herrjeh, wie kann man auf so etwas kommen? -  während des Fluges (oder ist es ein böser Traum) auf einen schwarzen, vaterlosen US-Präsidenten (Andreas Bittl) und seinen Hund treffen, ihn mit auf eine Psycho-Reise nehmen und sich betragen wie die mannstollen Schwestern in Fernando Truebas „Belle Epoque“, ist einfach nur noch lächerlich ausgedacht und gemacht.
 
Mit Farsi, aber ohne Katharsis

Ab und zu singt oder betet eine, ich nehme an auf Farsi, eine hat Angst vorm Fliegen (Frau de Jong läßt grüßen), die dritte besäuft sich, manchmal setzen sie sich einen Kamelkopf auf. Und alles in einem iranischen Flugzeug – oder war es auf einem fliegenden Perserteppich? Und wie, bitte, kommt der US-Präsident (allein) auf seiner Reise von Kenia nach Washington, D.C. in die Maschine, die in Teheran gestartet ist - mit Hund und Basketball? Er weiß es selber nicht. Und ich will es gar nicht wissen. Es ist jedenfalls hanebüchener Unfug, der da geboten wird und einen kruden Haufen Fragen aufwirft, die ohne Antwort bleiben – so wie das Stück ohne gescheiten Einstieg, Katharsis und Lösungsansatz eine Menge Parolen und sattsam bekannte Wahrheiten ohne jeden erkennbaren Zusammenhang plappert. Einzig hervorzuheben die Leistung von Eva Gosciejewicz, die sich als veritable Schauspielerin in diesem Machwerk verschlissen sehen mußte. Zitat, anklagend an den schwarzen Präsidenten (der ein Weißer ist) gerichtet: „Glauben Sie nicht, daß der Körper sich freut, wenn er ohne Hüllen ist?“ Und ob! Zwei weitere wörtliche Zitate als pars pro toto:
„Ich will das nicht hören, ich will hier weg!“ (Shirin) - „Ich suchte mit Sehnsucht nach einem Zusammenhang.“ (Präsident) -  Ich auch. Musenblattschuß.
 
Weitere Informationen unter: www.schauspiehausbochum.de