"Der Müll, die Stadt und der Tod"

Das Theater an der Ruhr zeigte trotz Protesten das umstrittene Fassbinder-Stück

von Andreas Rehnolt

Umstrittenes Fassbinder-Stück
erlebte Deutschland-Premiere
 


Das Theater an der Ruhr in
Mülheim
zeigte trotz
Vorfeld-Protesten des Zentralrats der Juden
"Der Müll, die Stadt und der Tod"
 
 
Mülheim/Ruhr - Trotz Vorfeld-Protesten des Zentralrats der Juden in Deutschland hat das in Teilen als antisemitisch kritisierte Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" am Donnerstagabend am Theater Mülheim/Ruhr seine Deutschland-Premiere erlebt. Die erwarteten Protestaktionen gegen das Stück von Rainer Werner Fassbinder vor und im vollbesetzten Theater blieben aus. Intendant und Regisseur Roberto Ciulli hatte das 1975 entstandene Werk eingebettet in zwei weitere Stücke des Autors und verstand es in seiner insgesamt dreieinhalbstündigen Inszenierung, den Antisemitismus in den ersten BRD-Jahrzehnten zu thematisieren. "Auf keinen Fall ist diese Inszenierung antisemitisch, sie zeigt vielmehr, wie in den 70er Jahren mit dem Grauen um die Judenvernichtung umgegangen wurde", sagte einer der Premierenzuschauer.
 
Im ersten Stück "Nur eine Scheibe Brot" geht es um die Frage, ob das unsägliche Leid in den Konzentrationslagern der Nazis filmisch überhaupt darstellbar ist. Ein junger Regisseur auf der Bühne verzweifelt daran, daß er quasi gezwungen ist, eine Haltung einzunehmen, die derjenigen der SS-Schergen vergleichbar ist. Das Bühnenbild zeigt einen mit Gittern abgesperrten Altarraum im Hintergrund, Särge und - nicht sichtbar - die Türen zu den Verbrennungsöfen eines KZ die, wenn sie sich öffnen, einen hellen Lichtstrahl auf die Bühne werfen und das Flammeninferno hören lassen. Es fallen Sätze wie "6 Millionen Opfer sind eh' übertrieben", oder "Von Konzentrationslagern haben wir doch nichts gewußt". Und da wird versucht, die Zerstörung Deutschlands und die erlittene Gefangenschaft mit dem millionenfachen Mord an Juden gegeneinander gegenzurechnen.
 
"Der Müll, die Stadt und der Tod" zeigt bei Ciulli eine Straßenszene in Frankfurt, einige Prostituierte, Kleinkriminelle, die ums Überleben kämpfen. "Der reiche Jude", ein  Immobilienspekulant, wird im schwarzgelackten Sarg auf die Bühne gefahren. Geldbündel hängen um seine Schultern. "Er saugt uns aus, läßt uns nur die unrentablen Objekte. Sie haben vergessen, ihn zu vergasen", sagt da einer der Mitarbeiter des "reichen Juden". Der selbst verkündet in einer Mischung aus Lachen und Zynismus er müsse "Rache nehmen an den kleinen Leuten. Das ziemt sich auch". Schließlich haben die Nazis seine Familie ausgelöscht. Mit der eigenen Erinnerung an seine KZ-Zeit sagt der "reiche Jude": "Es muß mir egal sein, ob Kinder weinen oder Kranke und Alte leiden."
 
Einer der Täter, Vater der jungen Prostituierten, überlebt als Transvestit in einer Bühnenshow. Er brüstet sich gegenüber dem Mädchen mit seinen Taten: "Ich hab mich nicht um den Einzelnen gekümmert, den ich getötet habe." Gewissensbisse habe er nicht, sagt der Mann und fügt hinzu, daß er warten könne. "Wir können warten, auch Jahrhundert. Wir sterben nicht aus," ergänzt der Täter für den wenige Jahrzehnte nach dem Ende der Nazi-Diktatur "im Grunde alles beim alten ist." Und spätestens bei dieser Schlußszene des umstrittenen Stücks spürten die meisten Premierengäste Gänsehaut. "Das war schon beklemmend, aber alles andere als antisemitisch," so eine ältere Frau. Ciulli selbst hatte im Vorfeld der Premiere erklärt, das Stück sei wichtig, "gerade in einer Zeit, in der sich viele das Grauen von Auschwitz nicht mehr vorstellen können."
 
1985 war die geplante Deutschland-Aufführung in Frankfurt am Main am massiven Widerstand zahlreicher Demonstranten gescheitert. Damals hieß es auf Transparenten der Jüdischen Gemeinde: "Wehret den Anfängen!" und "Ein skrupelloser Intendant ist der schlimmste Spekulant". Das Jüdische Kulturforum hatte damals Anzeige erstattet wegen "Volksverhetzung" und "Aufstachelung zum Rassenhaß". Das Stück wurde schließlich 1987 in New York uraufgeführt. Auch in Israel kam das Stück auf die Bühne.
 
Weitere Aufführungstermine: 9., 10., 15. Oktober
 
Redaktion: Frank Becker