Überzeugender "Don Carlo" in Krefeld

Gelungener Saisonauftakt an den Vereinigten Bühnen Krefeld & Mönchengladbach

von Peter Bilsing

Verdis „Don Carlo“ überzeugte
In Krefeld durch vorbildliche
Ensemble- und Orchester-Leistung
 
Gelungener Saisonauftakt an den
Vereinigten Bühnen Krefeld & Mönchengladbach
 Premiere am 26.9.09
 


Schillers Don Carlos ist zur Zeit in NRW Oberstufenstoff und damit abiturrelevant; das erschließt dem ohnehin populären Opernstoff der brillanten Verdi-Verarbeitung neue jüngere Publikumskreise im Rund des sonst eher greisen Publikums. Gerade bei solchen Werken tut eine solche Blutzufuhr erkennbar gut, das Werk ist nicht so leicht wie ein „Rigoletto“ oder eine „Traviata“ zu rezipieren, denn es gibt eigentlich keine großen Arien, nehmen wir „O don fatale…“ mal raus, sondern nur dramatische Soloszenen, große und kleine Ensembles sowie gewaltige Chormassen. Don Carlo ist ein so schwieriges Werk, daß es per se schon einmal lobenswert ist, wenn ein mittleres Theater sich seiner annimmt, weil es praktisch alle Kräfte dieses Hauses bindet. Hinzu kommt, daß man sagenhafte sechs große Stimmpartien zu besetzen hat. Das gelingt selbst ersten Häusern nur mit Mühe und selten ohne Gäste. Gratulation an Jens Pesel für diese vorbildliche Ensemblepflege!
 
Gewagt und gemeistert - brillante Stimmen

In Krefeld hat man es gewagt und gemeistert. So hat man praktisch alle Rollen mit hauseigenem Personal auch noch relativ gut besetzen können. Welch grandiose Leistung! Zwar mußte der
 
Foto © Matthias Stutte
Großinquisitor für die Premiere (vorgesehen war eigentlich Hausmitglied Christoph Erpenbeck) durch einen Gast, den phänomenalen Vidar Gunnarsson, vertreten werden, aber das tat dem Ensemble-Geist keinen Abbruch – im Gegenteil. Gunnarsson war ein wirklich unter die Haut gehender Großinquisitor; eine tolle Stimme, die man gerne jeder Zeit wiederhören möchte. Heik Dèinyan´s (Philipp) angenehmer Baß war sowohl wie Dara Hobbs (Elisabeth) wunderbar tragender Sopran, als auch Janet Bartolovas (Eboli) überzeugender Mezzo von ganz großem Format, und auch schauspielerisch zeigten alle Sänger, was heutzutage Musiktheaterstandard ist. Mein besonderer Hinweis gilt der Zukunftsstimme eines Michael Kupfer (Posa); dummerweise sind fast alle Sänger, denen ich früher diese Option gab, dann bald von größeren Häusern einkassiert worden, sodaß ich es mittlerweile kaum zu schreiben wage; aber allein wegen seiner berauschenden Interpretation lohnt sich schon der Abend. Ein Extralob für einen weiteren Ausnahmesänger, zwar klein von Statur, aber mit großer Stimme und einem noch größeren musikalischen Herzen: Kairschan Scholdybajew (Don Carlo). Der junge Tenor aus Kasachstan, Publikumsliebling beider Häuser, stürzte sich mit solcher Seele, Mut und Stimme in diese mörderische Partie, daß dem Publikum förmlich die Luft wegblieb. Alle Achtung und ein Sonderstern vom Opernfreund diesem sympathischen Sänger; eine wirklich ans Herz gehende Interpretation. Nicht zuletzt: Isabelle Razawi (Tebaldo) – stimmlich tadellos und bewundernswert ihre Darstellungskunst und Beweglichkeit – obwohl (!) ich diesen blödsinnigen Regiegag, daß Tebaldo als nervender Harlekin im permanenten Aktionismus über die Bühne wuseln muß, mehr störend als dramaturgisch sinnvoll empfunden habe.
 
Grill-In: Regie-Ideen etwas läppisch

 
Foto © Matthias Stutte
Und da sind wir schon beim Schwachpunkt des Abends, nämlich der allzu betulichen und bemühten Regie von Francois De Carpentries. Da kennen wir besseres. Natürlich macht es das ja schon fast oratorienhaft und ausgesprochen handlungsarm angelegte Werk einem Regisseur auch nicht leicht, aber einen dermaßen lahmen, nichtssagenden und harmlosen Autodafé-Akt habe ich nur selten gesehen. Alles wirkte wie beim allwöchentlich Grill-In auf den Rheinwiesen, statt Koteletts wurde ein veritabler halbnackter Ketzer auf einem riesigen Gitterrost mühevoll hereingetragen und dann mit Rotlicht von unten angestrahlt, während man im Hintergrund ein simples Blatt mit einer handgetippten Menschenrechtserklärung an die Wand projizierte. Läppischer geht es wohl kaum. Gleiches gilt für den Schluß, wenn Karl der V. einer Bodenluke entsteigt, Philipp den Arm um die Schulter legt und ins rückwärtige helle Licht würdevoll entschreitet. „Leb wohl, mein lieber Schwan….“ Puh!
 
Chor, Orchester, Ausstattung haben Klasse

Nichtsdestotrotz gab es eine bemerkenswert intelligente und sehr sängerfreundliche

Foto © Matthias Stutte
Bühnenkonstruktion von Siegfried E. Mayer, und auch Karin van Herckes Kostüme waren von beeindruckender Pracht und prunkvoll auf jeden Typus zugeschneidert – eine Augenweide! Der große Chor (Leitung: Hein Klaus) inklusive Extrachor überzeugte aufs profundeste. Auch die Lichtregie war sehr stimmungsvoll.
Ganz große Klasse muß den großartig vorbereiteten Niederrheinischen Sinfonikern unter Graham Jackson bescheinigt werden. Das Orchester war auf den Punkt präsent und Jackson dirigierte, stets einfühlsam und auf die Sänger eingehend einen wunderbar zeitgemäß entschlackten Verdi, der dennoch genügend Aplomb, Spannung und Ausdruckskraft hatte. Bravo! Bravi Musici!
Ein formvollendeter, ansehnlicher Saisonauftakt. Bitte hinfahren!
 
Weitere Informationen unter: www.theater-kr-mg.de 

Fotos © Matthias Stutte - Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung
Redaktion: Frank Becker