Abschied von Pina Bausch

Eine Hommage

von Johannes Vesper

Foto © Jan Minarik
Abschied von Pina Bausch
im Barmer Opernhaus
 

Ihre getanzten Lebensbilder von Liebe und Kampf der Geschlechter, von Ängsten und Gewalt werden in der ganzen Welt verstanden und enthusiastisch gefeiert. Von Japan bis Chile gab es Kooperationen und stets bejubelte Aufführungen. Bei ihrem universellen Welttanztheater ging es stets um Zusammenarbeit, und immer wieder um gemeinsame Projekte zwischen verschieden Kulturen, um Tanz und Bewegung als Ausdruck menschlicher Emotionen und Situationen. Der politisch aktuelle Begriff vom „Kampf der Kulturen“ paßt nicht in ihre Welt
Ihre Stücke, bei der Premiere ohne Namen, sind sinnfrei wie eine Symphonie. Sie gab ihren Stücken Haupt- und Nebenthemen. Variationen von Themen, Wiederholungen, zum Schluß eine Coda - und immer sind es Charaktere, Gefühle, Situationen, Ideen, kurz Bilder, deren Bewegung, deren Farben und Ausdruck  den Zuschauer mitnehmen und entführen, amüsieren und erschrecken.
 
Persönlich war sie voll von Ängsten. Die Ängste betrafen immer die neuen Stücke: Reichen die Einfälle aus? Wird alles rechtzeitig fertig? Wann stellt sich eine tragende Idee für das neue Stück ein? Sind alle Mitglieder der Compagnie gesund und in Form? Fürsorge für alle Mitglieder der Compagnie lag ihr am Herzen. Natürlich hatte sie immer auch Ängste um die eigene Gesundheit, floh aus der Krankenhausambulanz und suchte Rat und Hilfe sowohl in der naturwissenschaftlichen wie auch in der alternativen Medizin. Der frühe Tod ihres Lebenspartners Rolf Borzig hatte sie existentiell verunsichert. Das Rauchen gehörte zu ihr wie die Luft zum Atmen. Sie konnte es nicht lassen. Auf das Essen legte sie vor allem in den intensiven Arbeitsphasen keinen Wert. Sie war immer schlank und zart. Als sie aber an den letzten Theaterabenden im Barmer Opernhaus Ende Juni 2009 zum überwältigenden Schlußapplaus auf die Bühne trat, war ihr die tödliche Krankheit anzusehen. Neun Tage später ging die Nachricht ihres Todes um die Welt. Sie starb am 30.06.09 und wurde in Wuppertal beerdigt. 
 
Jetzt, am 04.09.09 wurde im Barmer Opernhaus Abschied von Pina Bausch genommen. 780 Gäste aus aller Welt, von Korea bis Kanada, aus Europa, aus Deutschland und Wuppertal waren geladen. Vor schwarzer Bühne erstarb das Gespräch der Gäste. Stille, als das Licht im Zuschauerraum erlischt. Dann plötzlich harte, unmelodische Rhythmik und Tänzerinnen in leuchtenden farbigen  Kleidern wirbeln über die Bühne. Schnell wechseln kurze tänzerische Sequenzen und enden  wieder. Dann redet der Oberbürgermeister der Stadt Peter Jung und zeichnet nach, was Pina Bausch mit Wuppertal verbindet, nachdem sie 1972 zum ersten Mal im Barmer Opernhaus die Choreographie für das Tannhäuser-Ballett  besorgte, bevor Arno Wüstenhöfer sie 1973 einstellte, ihr das Ballett übertrug und ihr vollständige Autonomie bei ihrer Arbeit zusicherte. 39 Jahre lang war sie dann Leiterin des Tanztheaters in Wuppertal. Nach anfänglichem Unverständnis ihrer Arbeit habe das Wuppertaler Publikum sie schätzen und lieben gelernt. Wuppertal trauert um seine große Ehrenbürgerin. Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Jürgen Rüttgers weist auf die Bedeutung des Tanztheaters Pina Bausch für das Land hin. Jährliche Tanzfestivals der Welt in NRW bzw. in Essen, Düsseldorf und Wuppertal werden ohne Pina Bausch ihren Charakter ändern, wenn sie überhaupt noch zustande kommen. Er fordert die Compagnie auf, in ihrem Sinne weiter zu machen. Bewegend sind die Worte des Freundes der Toten Wim Wenders, der die  Anwesenden als Familie, als Freunde, als Weggefährten, als Berater von Pina anspricht. Wir alle kannten Pina, die ewige Zweiflerin, den bescheidenen Weltstar. Ihren Blick haben wir alle geteilt. Sie habe mit dem Herzen gesehen, so kritisch wie liebevoll. So sprach Wim Wenders, dem man seine Bewegung anmerkte.

Während er noch redete, saß da auf einmal Mechthild Großmann im Dunkel am Bühnenrand auf dem Boden im schwarzen Kleid mit Rotwein und einer Zigarette. Gegen Ende seiner Rede bewegte sie sich ein bißchen, bis sie endlich auf dem Rücken liegend ihre Beine die Wand hinauf streckte. Dann sprach und spielte sie „Nein, nicht nach Hause, noch ein Weinchen und ein Zigarettchen“. In den folgenden 90 Minuten  nahm die Compagnie Abschied. Hinreißende Auszüge aus den verschiedenen Stücken von Pina Bausch waren zu sehen, und 34 Tänzerinnen und Tänzer auch aus alten Zeiten waren gekommen: Josephine Anne Endicott, Lutz Förster, Malou Airoudo, Julie Shanahan, um nur einige zu nennen. Zum Schluß verläßt Dominique Mercy nach seinem ernsten Solo-Tanz mit hängenden Armen die Bühne. Starker Applaus  brandet auf und will kein Ende nehmen. Aber die Bühne bleibt leer
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© Johannes Vesper 2009