Im Lesesommer 2009
heute: Spuren der Jugend Es gibt, wie schon in Teil 4 unseres Lesesommers deutlich gemacht, etwas im Bereich der Literatur, das viele Leser oft mehr interessiert als Fiktion: das Eintauchen in Biographien, Beschreibungen wirklicher Schicksale. Kaum ein berühmter Mensch, der nicht die Erinnerungen an sein Leben aufgezeichnet hätte oder hätte aufzeichnen lassen. Der Bogen spannt sich von Henry Kissinger bis Dieter Bohlen. Gelesen werden sie alle. Ebenfalls hoch im Kurs stehen lebensnahe Korrespondenzen wie die von Gottfried Keller, Eduard Mörike, Theodor Storm, Leo Slezak, Theodor Fontane, Matthias Claudius, der Pfalzgräfin Liselotte oder Manfred Krug, dessen köstlicher Postkartenwechsel mit Jurek Becker in einem Buch dokumentiert ist. Doch es müssen nicht immer Berühmtheiten sein - nicht weniger aufregend sind Lebensbeschreibungen und Erinnerungen ganz "normaler" Menschen, die ja mehr das Volk ausmachen, aus dem wir stammen und in dem wir leben, als das Stars und Könige tun. Solche Autobiographien spiegeln das wirkliche Leben, eines das die meisten Leser nach- oder gar mitempfinden können.
Glücklicherweise gibt es Verlage, die sich um diese Facette der Literatur kümmern und mitunter investieren Menschen ihr Erspartes, um unters Volk zu bringen, was sie erlebt haben. Die Bäuerin Anna Wimschneider ist eine, die damit großen Erfolg hatte. Es gedeihen aber auch Pflänzchen, die wohl nie zu einer solch schimmernden Blüte kommen werden, dennoch etwas zu erzählen haben. Heinrich Peuckmann hat unter dem Titel "Der Vorwärtsfahrer" vor dem Hintergrund des Ruhrgebiets in kleinen autobiographischen Erzählungen Erlebnisse seiner Kindheit, Jugend und der Zeit des Erwachsenseins festgehalten. Erst in den 60er und 70er Jahren ist die Region in den Blick der Literatur gerückt, seitdem aber hat sich die Welt zwischen Bocholt und Hamm, Kamen und Bochum ihren Platz erobert. Hier fand und findet das Leben statt. Heinrich Peuckmann war und ist mittendrin. Die dreizehn eher schlecht als recht als Typoskript mit platzschindenen Zeilenabständen gedruckten Geschichten erzählen humor- aber auch gedankenvoll von kleinen, alltäglichen Begebenheiten. Vom Lügenbaron Fritz Bussmann, von Schneeball-Unfug mit gewissen Folgen, dem Besuch des Knaben beim Friseur (genauso war das!), Schulerlebnissen mit Alt-Nazis als Lehrer (o ja!), dem Leben der "Fahrschüler" im dünn besiedelten Bereich, vom platt gesessenen Schokoladen-Osterei und natürlich vom "Vorwärtsfahrer". Später die Begegnung mit Krankheit und Tod. Aus dem Leben eben, denn der Tod gehört dazu. Schlicht und leicht erzählt, sind sie schnell konsumiert. An Tiefe fehlt es, soll ja wohl auch nicht sein. Doch leider schleichen sich auch flache Wendungen wie "Es ist eine Geschichte, die mich tief betroffen gemacht hat, damals" immer wieder ein. Das schmälert das Vergnügen. Und Vorsicht, spätestens beim zweiten Lesen lösen sich die schlecht gelumbeckten Seiten.
Heinrich Peuckmann - "Der Vorwärtsfahrer", 2009 Brockmeyer Verlag, 122 Seiten, Broschur, 12,90 €
Weitere Informationen unter:
www.brockmeyer-verlag.de
In die 70er Jahre, als es zwischen Förderanlagen und Zechensiedlungen noch Tante Emma-Läden, Margit Kruse - "Im Schatten des Turmes - Eine Jugend im Ruhrgebiet", © 2009 Sutton Verlag, Reihe Heimatarchiv, 190 Seiten, Broschur, 12,95 €
Weitere Informationen unter:
www.suttonverlag.de
Edmund Hoff erlebte in der Nachkriegszeit im saarländischen Merzig und in Rimlingen-Bachem seine Ein kurzes, einführendes Kapitel ("Als der Krieg noch fern schien") bildet das Bindeglied zu den Kapiteln des neuen Alltags, in den der 1945 zehn Jahre alte Edmund Hoff hineinwächst. Er erzählt vom Kampf ums tägliche Brot, von Kirchgang und Schulalltag, von Spielen und Lausbubenzeit. Der angemessene Ernst des Zeitbildes der sich mit der unbeschwerten Heiterkeit der kindlichen Erinnerungen mischt, macht das Buch nicht nur für Zeitzeugen, sondern auch für die heutige, übersättigte Jugend lesens- und empfehlenswert.
Edmund Hoff - "Als die Stadt ihre schwarzen Augen verlor" - Ein Junge erlebt die Nachkriegsjahre, © 2009 Gollenstein Verlag, 187 Seiten, gebunden, Literaturverzeichnis, Übertragungen aus dem Moselfränkischen, Übersetzung der Texte der lateinischen Messe, 16,90 €
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