Buh! und „Spick mich!“

Ein Kontrapunkt

von Peter Bilsing

Foto © Frank Becker
Buh! und „Spick mich!“

(Was den Beruf des Sängers mit dem des Lehrers
verbindet)
 
„Der Zorn ist immer schädlicher als die Beleidigung, die ihn hervorrief.“
(Chinesisches Sprichwort)
 

Aus aktuellem Bayreuther Anlaß (Christian Franz) möchte ich ein Thema ansprechen, welches mich Zeit meines Opernlebens bewegt, es ist die Buherei des sich selbst für einen Ober-Fachmann haltenden Publikums. Berechtige Negativakklamation oder Ungehörigkeit?
 
Man muß sich als Sänger, insbesondere des „Siegfried“ oder noch mehr der „Götterdämmerung“, schon viel gefallen lassen. Da quält man sich bald 5 Stunden durch eine so schwere Partitur, umgeht viele Klippen und heikle Stellen auf intelligente Art und Weise und der Dank? „Buh, buhu!“ Von der jahrelangen Riesenvorbereitung und stimmruinösen Proben gar nicht erst zu sprechen.
 
Ist es da nicht verständlich, wenn man darauf den „guten“ alten deutschen Autofahrergruß wiederbelebt? Was soll Mensch/Sänger machen? Zurückbuhen geht nicht bzw. ist ziemlich sinnlos. Man kann diese „Schweinepriester“ natürlich auch sehr schlecht orten, da sie meist auf den hinteren „billigen“ Plätzen sitzen. In den ersten Reihen könnte man sich ja noch persönlich bedanken, wie weiland Helmut Kohl, als selbst vier bodygebuildete Security-Männer den „Dicken“, einmal in Bewegung, nicht davon abhalten konnten den Eierwerfer am Schlaffitchen zu ergreifen. Gut gemacht! War damals die einhellige Meinung des Volksmundes und so eine menschlich verständliche Reaktion hat ihm sicherlich, neben der meinigen, noch viele Stimmen gebracht.
 
„Wenn Bravo gebrüllt wird, darf man auch buhen!“ Ist die Meinung nicht weniger Operngänger. Der Künstler stellt sich der Öffentlichkeit, überlebt oder kommt darin um. Er muß ja nicht singen, könnte doch als Tankwart arbeiten, oder? Da buht ihn garantiert keiner aus. Doch der Schuster sollte bei seinen Leisten bleiben. Ich sehe das ganz pragmatisch. Im Prinzip ist Wagnersingen Wahnsinn. Bei Wagnermusik gibt es ja auch nur zwei Fronten: a) Die vehementen Ablehner,  b) Die Freaks und Wahnsinnigen die der „Droge“ dieser phantastischen Musik verfallen sind. Ich habe noch nie jemanden getroffen, dem Wagners Musik wurscht ist. Nehmen wir z.B. Poulenc (weil die DVD der Carmelités gerade neben mir liegt). Auf die Frage „Wie finden Sie Poulencs Musik?“ wird die Mehrheit der Befragten antworten (vor allem um nicht als Idiot dazustehen): „Ja… geht so!“ Eine Antwort, welche Sie bei Wagner niemals bekämen. Ist doch seltsam?
 
Aber zurück zu unseren anbuhten Sängern; meiner Meinung nach sollte man da differenzieren. „Wer zahlt, bestimmt die Musik“ sagt der Volksmund. Und am Volksmund ist immer etwas Wahres dran. Zahle ich also beispielsweise in Salzburg 650 Euro für die Karte, dann habe ich mir damit das Recht erworben auch lauthals meinen Unmut verkünden zu dürfen, wenn dem Weltklasseeintrittspreis keine Weltklasse auf der Bühne folgt. Bei einer 20-Euro-Aida-Karte in Gelsenkirchen z. B., die noch dazu vom Steuerzahler mit rund 250 Euro subventioniert wird, sähe ich das nicht so. Da ist jedes Buh eine glatte Frechheit, oder?
 
Dennoch beantwortet das alles nicht die Kernfrage: Muß man sich eigentlich alles gefallen lassen? Als alter Schulmeister möchte ich das Thema mit einem Beispiel aus den letzten Tagen beantworten. „Spick mich!“ heißt eine Homepage auf der Schüler in geordnetem Rahmen anonym ihre Lehrer beurteilen dürfen – warum auch nicht? Würden sie offen ihren Namen nennen, wären sie natürlich schnell weg vom Fenster, wie wir alle sicherlich zutreffend zustimmend vermuten würden. Man kennt doch seine Lehrer, zumindest kennt jeder mindestens einen… Schlechten.
 
Aber, was wäre wenn nun wir Lehrer unsere Schüler auch mal dezent „spicken“ würden - auf einer großen Tafel vor dem Schulgebäude stände dann „Hubert K. ist ein dermaßen unsympathischer Störer, daß ihn keiner unterrichten will“ (Unterschrift 45 von 50 Lehrern des Kollegiums) Oder „Elke ist eine Zicke, die uns dauernd nervt“ bzw. „Mike F. stinkt ständig – das stinkt uns auch!“ Was wäre dann für eine Hölle an jeder Schule los! Eltern würden zu Tausenden revoltierten …
 
Es gibt eigentlich nur eine Lösung: Souveränes Schweigen und Lächeln! Frei nach Oscar Wilde: „Der echte Künstler nimmt vom Publikum keine Notiz. Das Publikum existiert für ihn nicht.“ Oder wir halten es mit dem Volksmund: „Verzeihen ist die beste Rache.“        
 
In diesem Sinne
Ihr/Euer
Peter Bilsing

Redaktion: Frank Becker