Pina Bausch

Ein Nachruf

von Jürgen Kasten

Eine Szene aus Pina Bauschs letztem Stück 2009 - Foto © Karl-Heinz Krauskopf

Die Welt trauert um Pina Bausch
 
Seit heute Mittag bekannt wurde, daß Pina Bausch im Alter von 68 Jahren einem Krebsleiden erlag, von dem sie selber erst vor wenigen Tagen erfuhr, ist dies Thema in allen Nachrichtensendungen.
 
Unwidersprochen war sie die „Königin des Tanztheaters“, wie ein Kommentator seinen Rückblick einleitete. Ihre biographischen Daten und ihr außergewöhnliches Schaffen wurde zusammengefaßt, Ausschnitte ihrer Produktionen gezeigt, Originalton Pina Bausch eingeblendet und Stimmen zu ihrem Tod gesammelt.
Das genügt mir nicht. Pina Bausch hat zusammen mit ihrem internationalen Ensemble das Lebensgefühl einer ganzen Generation geprägt. Die Anfänge legte sie bereits als 14-jährige bei Kurt Joos an der Folkwangschule Essen, später fortgeführt an der Juilliard School of Music in New York. Ein Engagement an der Metropolitan Oper New York schloß sich an. Kurt Joos holte sie zurück. Pina Bausch arbeitete nun als Choreographin, wenige Jahre später auch als Chefin der Folkwangschule für Tanz.
 
Arno Wüstenhöfer, dem seinerzeitigen Intendanten des Wuppertaler Schauspielhauses, verdankt es die Stadt und ihr Publikum, daß er 1973 die junge Tänzerin und Choreographin zur Ballettchefin ernannte. Er tat dies gegen allerhand Widerstand, denn Pina Bausch schwebte etwas anderes, neues vor. Sie vereinigte Tanz, Theater und Musik zu dem Genre Tanztheater, ihrer Schöpfung. Als Tochter einer Solinger Gastwirtsfamilie war ihr die Nachbarstadt im engen Tal der Wupper nicht fremd.
Sie aber war dem dort beheimatetem Publikum fremd. Das war an ein klassisches Ballett gewöhnt, als Corps de ballet begleitend zu Opernaufführungen. Damit war es nun vorbei. 1974 brachte Pina Bausch ihr erstes abendfüllendes Tanzstück „Fritz“ auf die Bühne und erntete Ablehnung. Zuschauer wie Kritiker zeigten sich einig. „Gräßlich“ ihr einhelliges Credo. Die Choreographin ließ sich nicht beirren. Sie schuf ein Schlagerballett, eine Revue und interpretierte Opern. Sie setzte Musik von Gustav Mahler, Christoph W. Gluck und Igor Strawinsky ein; aber auch Free-Jazz-Improvisationen mit Detlef Schönenberg und Günter Christmann. Die Kritiker verstummten nicht. Zuschauer pfiffen und buhten, verließen türenknallend den Saal.
 
Eine Inszenierung des Brecht-Stückes „Die sieben Todsünden“ (Musik Kurt Weill) folgte. Doch erst mit „1980 - Ein Stück von Pina Bausch“ fand sich eine immer größer werdende Fangemeinde. Langsam drang ihr Ruf weit über das Tal der Wupper hinaus. Das Publikum wandelte sich. Aus dem Ausland reisten viele an, um diese ungewöhnlichen Choreographien zu sehen.
Meine persönliche Bekanntschaft  mit dem Tanztheater Wuppertal, wie es inzwischen hieß, machte ich 1977 mit dem Stück „Blaubart – Beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“. Jan Minarik, Tänzer der ersten Stunde, wütete auf der Bühne. Der „Geschlechterkampf“, Thema in allen Bausch-Stücken, war voll entbrannt. Brutal, erniedrigend und hemmungslos wurden vor allem die Frauen malträtiert. Das Ensemble, mehr Darsteller als Tänzer, spielte bis zur völligen Erschöpfung. Das ist ein Spiegel, eine Metapher, so dürft ihr nicht miteinander umgehen, schrie es aus jeder Szene. Das Zuschauen ließ mich innerlich vibrieren. Schweißgebadet verharrte das Publikum bewegungslos, bevor sich seine Emotionen in einem tobenden Beifallssturm Bahn brachen.
 
30 Jahre ist es her. Fast jedes Jahr kreierte Pina Bausch ein neues Stück. In wenigen tanzte sie selber mit. Etwa in „Café Müller“ oder in „Danzón“. Längst sind alle bösen Kritiken verstummt. Die Fachwelt wie das weltweite Publikum sind sich einig: Pina Bausch ist eine Ikone des Tanzes. Völlig neue Bewegungsabläufe, Tanzschritte und Arm-Choreographien schuf sie zusammen mit ihren Tänzerinnen und Tänzern. Mit ihren eigenen Biographien, mit Erlebtem und Gesehenen brachten sie sich ein. Mit ihrem Ensemble bereiste Pina Bausch die gesamte Welt, sammelte in unterschiedlichen Kontinenten und Ländern Eindrücke, die sie in ihren Choreographien verarbeitete.
Dabei zelebrierte sie nach wie vor den „Geschlechterkampf“. Im zunehmenden Maße jedoch versöhnlicher, gar mit einem „Augenzwinkern“, spielerischer und tänzerischer.
Der Tanz ist wieder in den Vordergrund gerückt. Darstellende Szenen werden nun zwischen die oft kraftvollen Soli gesetzt, sparsam nur das gesamte Ensemble mit kleinen Tanzeinlagen dargeboten. Das ganze wirkt heiterer, lustvoller, lebensbejahend. Nun werfen ihr manche Kritiker dies wieder vor. Ihnen  fehlt die Härte, die Intensität der Auseinandersetzung. Doch das Leben schreitet voran. Die Protagonisten wurden älter, milder, verständnisvoller, auch Pina Bausch. Man sah es ihr nicht an. Immer machte sie einen angespannten Eindruck. Glaubt man ihrem Umfeld oder sah man sie in einem gelegentlichen Probenausschnitt, so erscheint vor einem eine unter Hochdruck arbeitende Perfektionistin. Exzessiv soll sie gearbeitet und gelebt haben, mit all ihren Sinnen nur dem Tanz verschrieben.
Die Tanzwelt lag ihr dafür vor Füßen, überhäufte sie mit Ehrungen und Preisen und wartete jedes Jahr auf ein neues Stück…
 
Danke – Pina Bausch.

Redaktion: Frank Becker