Blau

von Friederike Zelesko

Foto © Frank Becker

Blau
 
 
Ich sitze auf einer Sandzunge. Die Sandzunge liegt im Mund einer blauen Bucht. Über ihr rundet sich der blaue Himmel wie ein Gaumen. Ich bin die Betrachterin eines Bildes, das ständig spricht. Ich bin stumm. Blaue Fische messen die Tiefe des Meeres. Blaue Vögel messen die Höhe und Weite des Himmels. Schiffe durchkreuzen das Wasser, bis zu dem Punkt, wo Wasser und Luft sich treffen, wo die Sprache auf die Sprachlosigkeit stößt, wo keine Grenze mehr erkennbar ist. Die Bewegung Blau fängt mich  ein.
Klar und frisch zeigt es sich am Morgen, als Gesicht eines erwachenden Kindes. Nichts ist verschwommen. Die Umrisse der Insel und der Horizont sind deutlich zu sehen. Es ist ein reines, kräftiges Blau. Vertrauensvoll und wundergläubig legt es sich auf die ganze Insel.
Die Sonne hat ihren höchsten Stand erreicht. Die Luft flimmert heiß. Das Morgenblau macht einem anderen Blau Platz, einem leidenschaftlichen. Seine Glut dringt in die Erde ein. Läßt sie dampfen. Blau mischt sich mit Blau. Lustvoll und schmerzlich zugleich. Der Horizont ist nicht mehr deutlich zu sehen.
Der späte Nachmittag besänftigt das wilde Mittagsblau. Ruhig liegt es auf den Hügeln der Insel. Fast nachgiebig. Ihr Lächeln glitzert im Wasser, zusammen mit den Strahlen der untergehenden Sonne. Felsen tauchen in das Blau ein. Dunkler wird es und immer weicher, bis es sich gänzlich in der Müdigkeit der Nacht auflöst.


© Friedrike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker