Pont de l’Hérault

Eine kleine Wehmut

von Friederike Zelesko

Foto © Dieter Schütz / Pixelio
Pont de l’Hérault 
 
(Niemand kann dir die Brücke bauen, auf der gerade du über den Fluß des Lebens schreiten mußt, niemand außer dir allein. Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen)
 
              
Wir sitzen auf dem Brückengeländer der berühmten Steinbrücke mit den drei Rundbögen bei Gignac und sehen hinunter ins eilig fließende Wasser. Im Licht der Sonne blinkt es. Ein Angler steht bewegungslos unter der Brücke. Auf einer Steinplatte, fast mitten im Fluß, hat er vorübergehend einen Platz bezogen. Er hat alles was er im Augenblick braucht. Eingebettet in die Kraft des Fließens wartet er auf den Fang. Die Spannung seines Körpers ist Stille und Geräusch zugleich. Bald wird der Fisch den Köder schlucken, bald wird er an der Angel den Sprung in den Tod nehmen.
 
Ein Junge kommt mit seiner Mutter die Biegung des Flußwegs herunter. Die flachen Steine im Fluß interessieren ihn. Er springt von Steinplatte zu Steinplatte, die überall umherliegen und dem Wasser zusätzlich einen Laut entlocken. Der Junge rutscht auf einer Platte aus und fällt mit einem Bein ins Wasser. Wir lachen über sein Unglück, sehen dann, wie der Wind am Flußufer die Blätter der roten Dornenbäume schüttelt, einige in den Fluß weht. Dort verwandeln sie sich in kleine Schlangen, aber auch in Schiffe, von den Wellen vorsichtig weiter getragen.
 
Sieh mal, ein totes Tier, sagt R. und ich folge seinem Blick und sehe eine ertrunkene Ratte, die vom Gestrüpprand des Ufers festgehalten, im Wasser hin und her schwappt. Laß uns gehen, sage ich rasch. Aug in Aug ertrage ich keinen Tiertod.
 
Wir gehen wieder den Flußweg weiter neben der Strömung, die an diesem Tag für mich nichts mehr von ihrer Fließkraft abgibt. Auf dem gegenüberliegenden Ufer sitzen zwei Burschen, die Sonne und Wasser anbeten. Einer spielt Gitarre. Der andere, von der Musik übermütig geworden, springt kopfüber ins Tiefe, kommt lachend wieder und schüttelt spritzend Haut und Haar wie Hunde es tun.
 
Wir nehmen den Weg durch die Weingärten zurück in den kleinen französischen Ort, wo wir für ein paar Wochen ein Haus bezogen haben. Wir haben alles, was wir im Augenblick brauchen. Es ist Spätsommer, die Weinernte steht unmittelbar bevor. An den Weinstöcken hängen pralle Trauben, und als ich eine pflücke, eine Beere in den Mund schiebe und sachte aufbeiße, spritzt ihr Saft über meine Zunge tief in die Mundhöhle. Plötzlich bin ich verlegen wie beim ersten Liebesspiel.



© Friedrike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern
2009
Redaktion: Frank Becker