Als wär´s ein Stück von Strindberg

Dietrich Hilsdorfs Walküren-Inszenierung in Essen

von Peter Bilsing
„Die Walküre“ –
als wär´s ein Stück von Strindberg
 

Spannend konservativer Wagnerabend im Essener Aalto-Theater
 
Musikalische Leitung: Stefan Soltesz - Inszenierung: Dietrich Hilsdorf - Bühne: Dieter Richter - Kostüme: Renate Schmitzer - Licht: Jürgen Nase - Dramaturgie: Norbert Abels, Ina Wragge - Fotos: Thilo Beu
 
Besetzung: Jeffrey Dowd (Siegmund) - Ks. Marcel Rosca (Hunding) - Egils Silins (Wotan) - Danielle Halbwachs (Sieglinde) - Catherine Foster (Brünnhilde) - Ildiko Szönyi (Fricka) - Sabine Brunke (Helmwige) - Francisca Devos (Gerhilde) - Sandrina Ost (Ortlinde) - Marie-Helen Joël (Waltraute) - Yaroslava Kozina (Siegrune) - Ieva Prudnikovaite (Roßweiße) - Marion Thienel (Grimgerde) - Franziska Hösli (Schwertleite)
 
Premiere am 24.Mai

Hilsdorf hatte gut lachen

Na, da hatte Dietrich Hilsdorf gut und jovial lachen, ob der spartanischen, aber doch hörbaren „Buhs“ am Ende seiner Essener „Walküre“, die man jedoch gerechterweise eher dem langweiligen Einheitsbühnenbild von Dieter Richter und dem unprätentiösen Aktschlüssen zurechnen sollte. Was hat der heute schon fast weise wirkende Altmeister der Opernregie doch früher als „Enfant terrible“ mit seinen noch richtig aufregenden Inszenierungen gelegentlich für Buhorkane über sich ergehen lassen müssen. Dann wurde er gelegentlich auch vom Teufel geritten und hat das Premieren-Publikum mit provokanten Gesten (Winkender Finger durch den Hosenschlitz, Autofahrergruß…etc) noch erst richtig in Fahrt gebracht. Hilsdorf ging keinem Streit aus dem Weg und war als Choleriker gefürchtet. Allerdings war er auch stets perfekt vorbereitet und kannte jedes Chormitglied (von denen er oft Ungeheures verlangte) beim Namen.
 
Gourmet-Theater eines Gereiften

Ich erinnere mich noch gut an seinen „Troubadour“, den der Erzbischof von Essen verbieten lassen

Foto © Thilo Beu
wollte, seine geniale „Aida“, jenem zweiten großen Aida-Lichtblick nach Neuenfels Frankfurter Geniestreich, oder seine „Entführung“ in der die Türken Wien übernommen hatten und während der Ouvertüre schon so richtig fröhlich drauflos folterten und brandschatzten, passend zur lockeren Musik.
Von seinen über 120 Inszenierungen (inkl. Schauspiel) blieben viele Produktionen im Gedächtnis haften; nicht nur wegen der provozierenden Sicht- und Spielweise, sondern auch wegen wirklich kühner Gedankensprünge. Keiner hat je Offenbachs „Barbe Bleu“ so publikumsnah und mit bitterböser Zeitsatire inszeniert oder Barock-Opern dermaßen auf ihre Aktualität abgeklopft und neu entdeckt. Bei praktisch jedem Hilsdorf-Abend war spannendes Musiktheater und Aufgeregtheit garantiert. Dietrich Hilsdorf hat seinen Rang in der „Hall of Fame“ der großen Theater-Regisseure längst eingenommen, und seine Büste steht freudig strahlend heuer neben anderen Giganten, wie Felsenstein, Neuenfels, Horres und Co. Doch alle haben mittlerweile etwas Patina angesetzt; es ist die Patina der Seriosität und des Gourmet-Theaters.
Und hätte man vor Jahren dem heute 61-Jährigen einen fried- und weihevollen, geradezu dem hohen Pathos Wagnerscher Ring-Musik sehr adäquaten und auch für Altwagnerianer bekömmlich konsumierbare Inszenierung prognostiziert, man wäre gesteinigt worden von den Fans und der Meisterregisseur hätte uns für verrückt erklärt. „Heut hast du erlebt“, rufen wir mit Wotan nach der gestrigen Essener Walküren-Premiere.
 
„So ist es denn aus mit den ewigen Göttern?“
(könnte man Fricka zitieren.)
 
Doch nein, liebe Hilsdorf-Fans, weit gefehlt! Es ist nur heute ein anderer Hilsdorf, der da inszeniert.

Foto © Thilo Beu
Der graue Wolf ist weiß geworden, ohne allzu viel Kreide zu fressen, und ohne einen Schafspelz zu tragen. Er trägt jetzt Smoking und inszeniert mit großer Würde. Endlich hat sich Meisterregisseur Hilsdorf von den „üblichen Verdächtigen“ (dem eigentlich stets überflüssigen Firlefanz, wie Kotzeimern, werkfremden Übertiteln, stückfremder Personage, den ewigen Judentafeln, Krankenhausbetten…etc.) getrennt und sich ganz aufs Stück konzentriert. Heraus kam ganz großes Musiktheater. Werktreuer hat er nie inszeniert. Ich würde kühn zu sagen behaupten: Dietrich Hilsdorf ist zum alten weisen Mann der Oper generiert. Das ist großer Wagner mit fast kammermusikalischer Deutung, angesiedelt zwischen griechischer Tragödie und einer geradezu Strindbergschen Intimität. Prachtvolle Kostüme von Renate Schmitzer.
 Besser hat selten jemand diese „Walküre“ durchleuchtet und umgesetzt. Eine Werkdeutung der kleinen, aber umso bedeutenderen Gesten und Schritte. Keine Herabwürdigung des Wagnerschen Werks auf die Müllhalde, das Männerpissoir oder den Edelpuff (wie z.B. der völlige Mißgriff bei Knabs „Rheingold“), sondern werkdienliche Regiearbeit, wobei mir die Lichtregie von Team-Mitglied Jürgen Nase besonders gefiel.
 
Wagner aktuell

Und was paßt besser in unsere heutige Zeit, als ein Stück über pathologische Macht- und Geldgier, unbelehrbaren Selbstdarstellungswahn und rücksichtslos kruden Macht-Missbrauch in Form von fehlgeleitetem Größenwahn als Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Die Texte sind noch so gut, daß man sie auch inszenatorisch kaum zu aktualisieren braucht, und so war man in Essen gut beraten, trotz durchaus verständlichen Gesangs, alle Text zusätzlich in Übertiteln zu zeigen.
 Das gesamte Walküren-Szenario spielt in einer Art verfallendem riesigen Herrschaftsgebäude, einer großen neo-klassizistischen mit Säulen dekorierten Repräsentationshalle – eine dem Untergang entgegensehende und dahinvegetierende Villa Hügel. Ständiger Dunst, Waberlohe oder Endzeitnebel durchweht das morbide Gemäuer. Rechts steht ein alter Herd mit veritabler Feuerstätte; zentraler Spielort für den Hunding-Akt. Daneben ist die Weltesche bzw. deren Rest, welcher grandios verwachsen ist mit sprödem Säulenbeton. Das darin steckende Wotan-Schwert dient Hundings Mantel vorerst als Kleiderhaken.
 
Hanswurst Hunding

Und so ist es auch Hunding, der zur Gewittermusik als erster überraschend die Szene betritt. Marcel Rosca singt und spielt diesen düsteren Waldmenschen mit beeindruckender Resonanz und stets gemeingefährlichem Gestus. „Gewehr gegen Schwert“ wird es später heißen und Hunding, im Kostüm eines alternden Westernhelden mit Schlapphut, langem Mantel und Knarre, überlegt sich schon zu Beginn des ersten Aktes, ob man nicht den Helden am besten gleich von hinten über den Haufen schießen sollte, der Finger zuckt schon. Damit ist er klar gezeichnet als „fieser Möpp“ und Gewaltmensch. Doch auch hier folgt Hilsdorf nicht den üblichen Klischees des rüden selbstbewußten Vergewaltigers und despektierlichen Frauenschänders; nein, da ist doch etwas, wenn auch nur ein kleines Flämmchen von Unsicherheit, Minderwertigkeit und stetiger Angst. Hunding ist kein großer Bösewicht; er ist ein kleiner Mitläufer, eine miese Ratte, die macht, was Al Capone ihm befiehlt. Das wird im zweiten Akt ganz großartig herausgearbeitet. Wo beim Original-Wagner Hunding ja sonst fehlt, darf er hier zusammen, aber unbeachtet, mit Wotan und Brünhilde am großen Tisch sitzen. Ein Regiegag, den Hilsdorf schon überzeugend bei seiner Düsseldorfer „Tosca“ einsetzte.
 
Aktschlüsse nicht schlüssig

So schmerzt es natürlich doppelt, wenn Wotan singt: „Hunding wähle sich, wem er gehört, nach Walhall taugt er mir nicht!“ Da proklamiert er wie ein beleidigter Pennäler, ein kleiner Hanswurst, dem der Oberlehrer gerade den Mund verboten hat. Und da ist es auch nur logisch, daß er Fricka später fast unterwürfig als Diener aus dem Königssaal herausbegleitet bzw. den Ehezwist kopfnickend

Foto © Thilo Beu
ständig akklamiert. Perfekt gezeichnet wird der „Fricka-Knecht“, der später Wotans Verachtung „Geh hin Knecht, knie vor Fricka!...Geh, Geh!“ nicht überleben wird. Texttreuer geht es nicht mehr.
Natürlich sitzen auch Siegmund und seine Schwester in einer Ecke des großen Saals; das stört weniger als die Tatsache, daß Sieglinde anscheinend zu diesem Zeitpunkt schon optisch mindestens im 8. Monat ist, während sie doch eigentlich erst im dritten Akt („Ein Wälsung wächst Dir im Schoß“) auf diese Tatsache hingewiesen wird. Kleine Verstörung allzu Wagnerpenibler! Verwirrend der Schluß des 2. Aktes, dessen wildes Rein- und Rausgerenne natürlich dem unseligen Einheitsbühnenbild anzulasten ist, dem auch schon im ersten Akt die wunderbare Lenzesszene zum Opfer fiel. Schade, da hat man ein Haus mit modernster Bühnentechnik und arrangiert Musiktheater, wie es für das Notquartier einer Fabrikhalle ausreichen würde.
 
Wenig Waberlohe

Leider fällt auch der dritte Akt recht bescheiden diesem Einheitsbühnenbild zum Opfer. Wo sich Wotan eben noch an der großen Tafel überzeugend mit seiner Wunschestochter unterhalten hat, bleibt sie doch glatt sitzen, als die Waberlohe sich mit dünnlichem Rauch, rötlichem Gefunkel - ergo recht wenig beeindruckend - aus den Nebenräumen „hereinwälzt“. Da geht bedauerlicherweise viel verloren. Wen soll dies Lüftchen wohl schrecken? Wahrscheinlich den ewigen Helden so wenig wie einen zufällig vorbeikommenden Würstchenverkäufer oder Penner. Hier sollte etwas überzeugender nachgearbeitet werden. Aber Hilsdorf hat noch einen netten Schlußgag. Auf dem linken Sofa liegt immer noch die zusammengesunkene und mittlerweile halbvertrockenete Leiche von Hunding. Von dessen Haupt nimmt Wotan den großen Schlapphut, setzt ihn sich auf und entschwindet. Ringkenner grinsen…
 
Sängergarde von Weltklasse


Foto © Thilo Beu
Der stellenweise doch nur recht eingeschränkt akzeptierbaren Szene steht allerdings eine Sängergarde gegenüber, denen man uneingeschränkt Weltklasseformat bescheinigen muß. Musiktheaterkünstler vom feinsten mit großen Wagnerstimmen, die alle den Anforderungen nicht nur an sehr gute Textverständlichkeit, sondern auch dem großen musikalischen Bogen standhalten und genügen. Jeffrey Dowd ist kein „Wälseschreihals“, aber er durchleuchtet die schwere Partie doch recht intelligent und steigerte sich im zweiten Akt noch beträchtlich. Die Sieglinde von Danielle Halbwachs ist so betörend und lauthals tragend, wie die formidable Brünhilde von Catherine Foster, denen man ebenfalls Weltklasseformat bescheinigen würde, wäre da nicht jemand, der dieses Format wirklich noch ein Quantum besser realisiert, nämlich der auch darob vom Publikum überschwenglich gefeierte Egils Silins als Wotan. Sehr sicher auch Ildiko Szönyi als Fricka und die herrlichen Wundermädchen.
 
Soltesz gestaltet Transparenz

Die gerade von der Zeitschrift Opernwelt zum „Orchester des Jahres“ gewählten Essener Philharmoniker ließen Wagners Noten wunderbar transparent erstrahlen und auch das relativ flotte Tempo, welches GMG Stefan Soltesz vorlegte, bekam diesem Wagner, den ich als den sicherlich zur Zeit besten bezeichnen würde, hervorragend. Da können sich Bayreuth und Wien ziemlich weit hinten anstellen. Eine schlichtweg überragende Orchesterleistung an jedem Pult! Traumhafte Solisten! Das ist Wagner anno 2009 und man sollte als Wagnerfan auch die weiteste Anreise nicht scheuen, um sich an solcher zeitgemäßen Interpretation zu erfreuen. Dahinter steckt sicherlich viel, viel Probenarbeit, aber das völlig enthusiasmierte Publikum lohnte und belohnte diesen Riesen-Aufwand. Gratulation!
 
Ich ende aus gegebenem Anlaß mit einer ketzerische Frage an die Essener Provinzpolitik: Diesen Weltklassemann, Stefan Soltesz, wollt Ihr ggf. wirklich, wie „Wotan mit dem Speer“, ziehen lassen?
 
Weitere Vorstellungstermine: 31.5. | 11.6. | 14.6. | 20.6. | 28.6. | 4.7. | 13.5.2010| 16.5.2010| 10.7.2010
 
Redaktion: Frank Becker