Beratung eines Freundes

Eine Erzählung

von Karl Otto Mühl

Karl Otto Mühl - Foto © Frank Becker

Die Beratung eines Freundes


Er  hatte Engelbert, seinen alten Schulkameraden, in einer Eckwirtschaft getroffen. Engelbert hatte angerufen und ein Wiedersehen vorgeschlagen. Er war in einer Buchhandlung als Geschäftsführer angestellt.

 Was Engelbert an diesem Abend erzählte, klang aufrichtig ratsuchend, zumindest schien er ratlos zu sein. Da war eine verführerische Frau, acht Jahre älter als er, und sie rief ihn mehrmals in der Woche an. Sie sagte begehrliche und verführerische Worte, und, wahrhaftig, sie schilderte erotische Situationen, die sich der verblüffte Zweipfennig noch nie vorzustellen gewagt hatte. Er hätte den Ansturm heftiger Gefühle zu sehr gefürchtet.
Er zuckte bei Engelberts Bericht sogar zusammen. So erschreckend konnte die Liebe herankommen. Was würde so eine Frau mit einem machen, wenn man ihr nachgäbe! Und würde er, Zweipfennig, jemals widerstehen können?
Und, noch schlimmer, berichtete Engelbert: Es gab auch einen Ehemann, der Flugkapitän bei der Lufthansa war. Freilich war er zurzeit zu einer Kur auf der Halbinsel Mettnau im Bodensee. Die Lufthansa schickte fliegendes Personal schon bei geringen Symptomen zu Kur.

Ja,  sagte Engelbert und blickte Zweipfennig fest ins Gesicht, in diesen Dingen schätze er dessen Rat. Er erinnere sich immer wieder an seine Mahnungen, alles sei erlaubt, nur keine Verstrickungen. Auch den Ausspruch seiner Tante Hilde, den Zweipfennig ihm weiterberichtet hatte, habe er sich gemerkt: „Es beginnt alles mit einer ersten Nacht, aber es hört meistens nicht damit auf.“ Für dies alles sei er ihm sehr dankbar.
Zweipfennig wiederum bewunderte Engelbert wegen seiner Festigkeit, denn er war nicht sicher, ob er so massiven Versuchungen widerstanden hätte. Engelbert war blond, schmal- und hellgesichtig, ausdauernd, nüchtern, scharfsinnig, er schaffte eben mehr als Zweipfennig.

Auch an einem folgenden Abend führten sie darüber ein Gespräch. Nicht immer waren sie leicht für Zweipfennig zu ertragen, denn manchmal berichtete er von zu verlockenden Vorschlägen und Aussprüchen dieser Kapitänsfrau. Zweipfennig bemerkte immer wieder – seinen wankenden Mut verbergend -, man müsse sich vor Verstrickungen hüten. Die Frau würde Engelbert sicher keine schriftlichen Zusicherungen geben, daß er danach nie mehr von ihr hören werde. Die Gefahr bleibe bestehen.
Engelbert nickte zustimmend und schien erleichtert trotz  dieser Gefahr. Genau so einen Rat habe er gebraucht, sagte er strahlend.

Jetzt konnte ihm Zweipfennig auch von seinen eigenen Sorgen berichten. Er suche eigentlich  eine Tätigkeit, wo er in Frieden arbeiten könne, auch, wenn es nichts Besonders sei. Sein eigentlicher Wunsch sei es, Rezensionen zu schreiben. Oder mehr noch: Kulturkritisches. Über den desolaten Zustand des deutschen Films. Über die Zukunft des Theaters. Vielleicht könne er das eines Tages ausschließlich tun. Aber dazu brauche er einen unauffälligen, wenig aufregenden Beruf.
 „Auch wenn du weniger verdienen würdest?“  fragte Engelbert.
„Selbstverständlich,“ antwortete Zweipfennig. Ach so, und das Rauchen wolle er aufgeben. Das Rauchen hindere ihn an voller Kreativität, da sei er ganz sicher.
Es gelang Engelbert zumindest teilweise, Zweipfennig von seinen Träumereien abzubringen.  Er erklärte ihm, daß es er immer auf eine knochenharte Realität stoßen würde, gerade beim Journalismus, auf Wettbewerb, auf Unlust – aber das müsse auch nicht so sein. Wenn man es annehme, dann sei es auch wieder leicht. Er zum Beispiel arbeite gern in seiner Buchhandlung.

Zweipfennig traf Engelbert in der folgenden Zeit noch öfter, und der fuhr fort, Rat und seine Bestärkung von Friedrich Zweipfennig, besonders den Rat zum Verzicht, zu loben, aber er fuhr auch  fort, die Verlockungsversuche  der Kapitänsfrau zu schildern. Und plötzlich wurde Friedrich Zweipfennig mißtrauisch.
Er wurde nicht nur mißtrauisch, er war sich jetzt sicher. Zu stereotyp klang Engelberts Lob für ihn, zu deutlich und bewegt waren Engelberts Schilderungen von Potiphars Weib – der Kerl trieb es längst mit ihr! Das mußte die Wahrheit sein.
An dem Lächeln von Friedrich mußte Engelbert eines Tages erkannt haben, daß der ihn durchschaute. Von diesem Tag an sprachen sie  nicht mehr über Frau Potiphar. Zweipfennig hörte nun längere Zeit nichts mehr von Engelbert, aber ein Klassenkamerad berichtete beiläufig, Engelbert sei mit einer verheirateten Frau zusammengezogen. „Weißt du“, sagte er später zu Zweipfennig, „ich habe mir überlegt, wie du so lebst. Ziemlich armselig, schätze ich. Da habe ich das andere gewählt.“


© Karl Otto Mühl - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007