Der ewige Rausch

Ein Gesang

von Li Tai-pe

Foto © Frank Becker
 
Der ewige Rausch


Herr, vom Himmel nieder in das Meer
Rast der große gelbe Strom in betäubendem Schwung.
Keine Welle weiß von einer Wiederkehr.
Herr, den Spiegel her: dein Schädel ist alt, nur deine Seufzer sind jung...
 
Noch am Morgen glänzten deine Haare wie schwarze Seide,
Abend hat schon Schnee auf sie getan.
Wer nicht will, daß er lebendigen Leibes sterbend leide,
Schwinge den Becher und fordre den Mond als Kumpan.
 
Schmeiß die Taler zum Fenster hinaus, es wird sie schon wer zusammenschippen.
Im Schlafe fällt kein Vogel aus dem Nest.
Heute will ich auf einen Hieb dreihundert Becher kippen!
Schlachtet den Hammel und sauft und freßt!
 
Glockenton am Morgen, Trommel im Krieg, Reis im Haus sind entbehrlich ­
Ach, Brüder, laßt uns auf einen Rausch, der kein Ende nimmt, hoffen!
Vergangenheit ist tot. Die Zukunft ungefähr­lich.
Unsterblich nur ist Li-tai-pe - wenn er be­soffen.


Li Tai-pe
(deutsch von Klabund, der heute vor 120 Jahren geboren wurde)