Kaffeefahrten statt Gazprom

Vaclav Havels "Abgang" am Theater Aachen

von Andreas Rehnolt

© Theater Aachen

Havel-Stück "Abgang" geriet in Aachen zur Groteske
 
Deutschsprachige Erstaufführung konnte als zu humorvolle und grelle
Analogie auf das politische Parkett nicht recht überzeugen
 

Aachen - Der Dramatiker, frühere Regimekritiker, politische Häftling und langjährige Präsident der Tschechoslowakei, Vaclav Havel war höchstselbst bei der deutschsprachigen Erstaufführung seines bislang letzten Bühnenstücks "Abgang" am Stadttheater Aachen zugegen. Der rote Teppich vor dem Bühnenhaus war am 25. April aber nicht eigens zur Premiere für den 72-jährigen ausgerollt worden. Er ist vielmehr eine Hommage an jeden Theaterbesucher und wartet allabendlich darauf, beschritten zu werden. Am Vortag der Premiere hatte Havel noch als erster Träger den mit 10.000 Euro dotierten Internationalen Demokratiepreis der Stadt Bonn entgegen genommen.
 
Ovationen für den Dramatiker

In der Kaiserstadt Aachen hat Havel viele Freunde. Nicht zuletzt, weil er vor 18 Jahren mit dem Karlspreis der Stadt ausgezeichnet wurde. Und so wurde das Stück, das vom Autor noch vor seinem politischen Aufstieg zum Präsidenten der Tschechischen Republik geschrieben wurde, trotz seines Titels zu einem öffentlichkeitswirksam Auftritt. Bei seiner Uraufführung am 22. Mai letzten Jahres im Prager Theater Archa gab es am Ende stehende Ovationen für Havel. Damals hieß es, es sei sein bislang wohl bestes Werk und bedeute auch die Rückkehr des Dramatikers auf die Bühnen seines Landes.
Schließlich hat Havel Geschichte nicht nur erlebt, sondern auch geschrieben. Als Dichter und als Herrscher. Als ein Politiker, der auch auf dem Gebiet der Kunst sein Bestes geben wollte. In Aachen nun, knapp ein Jahr nach der Uraufführung, kam das als melancholische Satire über den Machtverlust und den Verlust der Ideale gedachte Stück in Deutschland erstmals auf die Bühne und blieb vor allem eins: Eine zu grelle und zu sehr auf Humor bedachte Groteske. 
Ovationen gab es dennoch. Vor allem vor der Inszenierung von Nicolai Sykosch im vollbesetzten Theater und zwar für den Autor. Und auch der lang anhaltende Applaus nach der leider insgesamt schwachen Aufführung galt nicht zuerst den Akteuren auf der Bühne oder dem Regisseur, sondern erneut dem Dramatiker, der erstmals seit 20 Jahren wieder ein Stück zur Aufführung brachte. Wenn ein ehemaliger Präsident über die Machtentwöhnung eines abgewählten Kanzlers - nicht wenige Premierengäste wollten in der ein oder anderen Szene Ex-Bundeskanzler Schröder wieder erkannt haben - schreibt, dann hat das schon eine besondere Note.
 
A bisserl Schröder, a bisserl Lear

Havels Protagonist heißt Wilhelm Rieger und lebt trotz seines Machtverlustes immer noch in seiner Villa, die als aufklappbares Puppenhaus auf der Bühne präsent ist und in der Rieger seine Koffer packt. Geliebte marschieren auf, der Gärtner kommt und natürlich gibt es jede Menge Boulevard-Journalisten, die sich - in alter Tradition - die Klinke in die Hand geben um noch ein bißchen aus dem abgehenden Politiker herauszusaugen.
Rieger will dem neuen System zunächst nicht in die Hände spielen. Dafür wird er von seinem Nachfolger - der hat heftige Ähnlichkeit mit Havels Nachfolger Vaclav Klaus in der Realpolitik seines Heimatlandes - stark unter Druck gesetzt. Bis er schließlich zusagt und Berater seines ehemaligen Beraters wird. Phrasen pflastern fortan seinen Weg. Von Politik als Dienst am Volk, von aufopferungsvoller Tätigkeit an der Stelle, an der er am effektivsten für sein Land tätig sein könne, ist hier die Rede. Vom Eintreten für die Rechte der Menschen und was der hohlen  Sprechblasen sonst noch sind. Diese Mäntelchen können nur schwach den Opportunismus und die Korruptionsanfälligkeit des Ex-Kanzlers Rieger verhüllen. Am Ende herrscht schließlich die Selbstverleugnung eines Mannes, der immer noch in einer Art Vakuum und Traumwelt fernab der Realität im Wirklichkeitsverlust verkommt.
 
Havel hatte noch vor der Uraufführung des Stücks an einem Prager Theater mehrfach betont, der "Abgang" handele nicht von ihm selber. Der Dramatiker war nach seiner Zeit als Regimekritiker in der CSSR von 1989 bis 1992 Präsident der Tschechoslowakei und danach bis 2003 Präsident der Tschechischen Republik. Hauptdarsteller Heinz Kloss in der Rolle Riegers bleibt auch ehr harmlos oder verkrampft. "Die ganze Welt ist nur eine große Narrenbühne", läßt Havel seinen Protagonisten gegen Ende grölen. Und zumindest da erinnert das Stück, erinnert die Figur Riegels ein wenig an Shakespeares Tragödien-König Lear. Doch an dessen Feinheiten kommt die Inszenierung von Sykosch nicht heran. Havel selbst betonte nach der Premiere in Aachen einmal mehr, er habe mit dem Stück "keine Wahrheiten, sondern mehrere Möglichkeiten zeigen wollen, sich zu verhalten".
 
Kaffeefahrten statt Gazprom

Neben Aachen hatten auch mehrere andere deutsche Theater Interesse an dem Werk angemeldet, vermutlich lag es an den engen Kontakten Havels zur Kaiserstadt, daß der "Abgang" hier seine deutschsprachige Erstaufführung hatte. Vielleicht liegt es auch genau daran, daß die Inszenierung so und nicht anders, radikaler, melancholischer oder satirischer daher kam. Am Ende aber wird Rieger wie König Lear mit dem Verlust der Macht auch von seiner Familie verlassen. "Macht macht eben einsam", resümierte ein Premierenbesucher. Immerhin eine schöne Szene, als der abgehalfterte Ex-Kanzler das Angebot eines Kaffeefahrten-Unternehmers erhält, zwischen Schlagermusik seine teilweise delikaten Anekdoten aus dem Leben von Staatslenkern zum Besten zu geben.
Das Stück sei auch eine "Reflexion auf die automatisierte Sprache der Politiker", hatte es vor der Prager Uraufführung geheißen und - nun ja - der mediale Humbug rund um Politik-Stars und Sternchen wird auch in Aachen vorgeführt. Hier kam sein Werk in der deutschen Übersetzung von Joachim Bruss auf die Bühne. Für die zeichnete übrigens genauso wie für die Kostüme Stephan Prattes verantwortlich. Der zeigte die lange rote Zunge der Kultband Rolling Stones als Schleppe und entschied sich überhaupt fürs Hippie-Outfit der Darsteller mit langen Bärten, längeren Haaren und knallbunten Klamotten. 
 
Weitere Termine: 10., 23. und 29. Mai sowie 6., 24. und 26. Juni.
Internet: www.theateraachen.de

Redaktion: Frank Becker