Hymne an die Schönheit

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von Charles Baudelaire

Foto © Frank Becker

Hymne an die Schönheit
 
Schickt dich der Himmel, schicken Höllengründe,
O Schönheit, dich - als Labsal oder Pein?
Du spiegelst und als Tugend vor die Sünde.
Dein Reiz verwirrt, betäubt wie Feuerwein.

Dein Blick lullt ein und weckt zum Morgenstrahle,
Dein Odem duftet wie Gewitternacht.
Dein Kuß ist Zaubertrank, dein Mund die Schale,
Die Helden schlaff und Knaben mutig macht.

Stammst du von Engeln oder von Dämonen?
Wollust tappt deiner Schleppe hündisch nach.
Du heischst Gehorsam, ohne ihn zu lohnen,
Und teilst nach Laune Segen aus und Schmach.

Hohnlachend kannst du über Leichen taumeln, -
Die Grausamkeit gehört zu deinem Sport.
Bei den Pretiosen, die am Leib dir baumeln,
Hängt als dein liebstes Kleinod frech der Mord.

Dich, Flamme, muß die Motte blind umschwirren, -
Schon halb geröstet, preist sie deine Glut.
So geht's dem Buhlen auch in Liebewirren:
Zum Grab wird ihm das Polster, drauf er ruht.

Steig' aus dem Pfuhl, nah' von geweihtem Orte,
O Schönheit, grausam-holder Rätselgeist, -
Dein Blick, dein Lächeln öffnen mir die Pforte
Ins Unermeß'ne, das mich an sich reißt.

Ob Gott, ob Satan dich zum Heerbann zähle,
Was tut es, - wird im Erdenmißgeschick,
Du Glanz, Duft, Wohllaut, Herrin meiner Seele,
Durch dich erträglich nur ein Augenblick!


Charles Baudelaire