Die Revolution frißt ihre Gründer

Roberto Ciulli inszeniert Georg Büchners „Dantons Tod“ als Jahrmarkts-Spektakel

von Frank Becker
Die Revolution frißt ihre Gründer
 
Roberto Ciulli inszeniert Georg Büchners
„Dantons Tod“
als Jahrmarkts-Spektakel
 

Inszenierung: Roberto Ciulli  -  Dramaturgie: Helmut Schäfer  -  Bühnenbild: Gralf-Edzard Habben  -  Kostüme: Leo Kulas  -  Regiemitarbeit: Thomaspeter Goergen
 Besetzung: Georg Danton: Volker Roos  - Camille Desmoulins: Fabio Menéndez – Lacroix: Albert Bork – Robespierre: Klaus Herzog - Julie, Dantons Gattin: Petra von der Beek - Lucile, Gattin des Camille Desmoulins: Simone Thoma  - Marion: Rosmarie Brücher  - St. Just: Rupert J. Seidl - 1. Herr: Steffen Reuber - 2. Herr: Martin Bross - 3. Herr: Peter Kapusta – Weib: Albana Agai

Danton im Zentralabitur

Nicht nur den Abiturienten im vollbesetzten Saal – Georg Büchners Revolutions-Drama steht u.a. auf

Volker Roos, Klaus Herzog - Foto: Theater an der Ruhr
der Liste des kommenden Zentral-Abiturs – blieben einige der aufgesetzten Regie-Einfälle des eigenwilligen Mülheimer Theater-Prinzipals unzugänglich. Wer das bedeutende Stück oder seine Beschreibung vielleicht nie gelesen hatte, mußte vor einem Rätsel stehen, zumal in den "Danton" auch Textstellen aus Büchners "Leonce und Lena" und dem "Woyzeck" eingefügt sind. Ciulli setzt in seiner Inszenierung beim Betrachter viel voraus. Zu viel. Vielleicht deshalb ließ er, bevor der Vorhang sich beim Gastspiel im Remscheider Teo Otto Theater hob, eine kurze, sehr marginale Einführung geben. Der deutsche Revolutionär Büchner schreibt ein Stück über die Französische Revolution – der Zufall will es, daß er den Vornamen mit der Titelfigur teilt: Georg(es) Danton.





Großes Theater und flaue Effekte

Dessen Schicksal als Opfer des eigenen Umsturzes kann symptomatisch für alle folgenden

Petra von der Beek - Foto: Theater an der Ruhr
Fehlversuche stehen, dekadente Systeme zu ersetzen und dabei das Maß zu wahren. Die Sentenz „Totschlagen, was lesen und schreiben kann!“, erinnert fatal an das Grauen der Roten Khmer in Kambodscha. Ciulli hat mit knapp zweieinhalb Stunden unter Verzicht auf die Massenszenen Büchners beinahe eine Kurzfassung erarbeitet, die mit einigen grandiosen Mono- und Dialogen höchste Theaterkunst zelebriert, dann aber wieder in Effekte abstürzt. Und zwischendurch lullt die Musik Stephane Grapellis ein: so schlimm ist doch alles gar nicht... Ganz hervorragend gibt Volker Roos einen klugen Danton, wenn auch gewiß doppelt so alt wie Danton in seiner bemessenen Lebenszeit. Doch auf die Worte kommt es an, und denen gibt er Gewicht. Fabio Menéndez als Desmoulins hingegen wirkt in seinen geschrieenen Passagen überhaupt nicht. Ebensowenig haben die beiden weiblichen Hauptrollen Julie (Petra von der Beck) und Lucile (Simone Thoma) wesentlichen Anteil am Drama – es sei denn in symbolischen Nebenrollen als tumb strickende Jakobiner-Mitläuferinnen. Auch der an den Rollstuhl gekettete und nur für gewichtige Lehr-Monologe von einem Knebel befreite St. Just (Rupert J. Seidl) vermittelt sich nicht.

Die Revolution läuft Amok

Klaus Herzog hat mit dem haßerfüllt grenzlosen Robespierre ein schweres Päckchen zu tragen. Aus einer zunächst wie automatisch agierenden, beinahe autistisch wirkenden Gliederpuppe muß er den

Henkersmahlzeit: Bork, Menendez, Roos - Foto: Theater an der Ruhr
Mann entwickeln, der als unbelehrbar kompromißloser Blutsäufer die Revolution zu einer Perversion führt, die Danton zur Abkehr veranlaßt. Sein großer Monolog steht gleichauf mit dem Dantons.
Ein beeindruckend schönes Bild hat Ciulli (Bühne: Gralf-Edzard Habben) zu Beginn des 2. Aktes entworfen: Robespierre stakt auf leerer dunkler Bühne als Charon den Nachen mit den Todgeweihten über den Styx. Das bleibt ebenso haften wie das Tribunal des Konvents mit stelzenlaufenden Schwellköpfen und die Guillotinierung der drei als Konterrevolutionäre Verurteilten - man sieht nichts, hört nur das Sausen des Fallbeils. Das jedoch geht durch Mark und Bein – und den drei tödlichen Schlägen folgt ein nicht abreißendes Stakkato weiterer Hiebe: die Revolution läuft Amok. Und zum Schluß: eine kleine Utopie-Idylle im Kirmes-Wagen mit gemütlich baumelnden Beinen. Ein Kabinettstückchen.

Weitere Informationen unter:
www.theater-an-der-ruhr.de