Die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach

Vor 280 Jahren uraufgeführt, vor 180 Jahren von Mendelssohn wiedererweckt

von Burkhard Vesper
Die Matthäus-Passion
von Johann Sebastian Bach

Betrachtungen zu einem Wunderwerk
 


Das Werk
 
Als Bach, Kantor an der Leipziger Thomaskirche, im Spätherbst 1728 die Nachricht  vom Ableben seines Freundes Fürst Leopold zu Sachsen-Anhalt-Cöthen erhielt (s.u. „Der Komponist“), bekam er gleichzeitig den Auftrag, sich mit einer Trauermusik für die feierliche Beisetzung in Cöthen bereitzuhalten. Ein Datum dieser Feier ist nicht überliefert, aber es war klar, daß Bach neben der soeben begonnenen Matthäus-Passion, die er zu Karfreitag 1729 aufführen wollte, nicht eine weitere, seinen eigenen hohen Ansprüchen genügende Trauermusik schreiben konnte. Er bat daher seinen Librettisten Picander (Pseudonym des Dichters Christian Friedrich Henrici, 1700 -1764), einige bereits fertige Teile der Matthäus-Passion für die Trauerfeier Leopolds zu Cöthen umzutexten. So waren acht Arien und der Schluß-Chor der Passion  vor der Uraufführung der Gesamtpassion in Cöthen zu hören. Als Eingangs-Chor für die Trauermusik  benutzte er den Eingangs-Chor der „Trauer-Ode“, die er für die am 7.9.1727 verstorbene Kurfürstin-Königin Christiane Eberhardine von Sachsen und Polen komponiert hatte. (Die Kurfürstin-Königin war Protestantin geblieben  -  wofür sie von den Sachsen fast wie eine Heilige verehrt wurde  -, als ihr Mann, August der Starke, Kurfürst von Sachsen, 1697 zum Katholizismus konvertierte, um in Personalunion König von Polen werden zu können).
 
Die Matthäus-Passion wurde und wird bis heute wegen ihres dramaturgischen Aufbaus  immer wieder auch als „Bachs Oper“ bezeichnet. Bach hat ja, ganz im Gegensatz  zu seinen kaum weniger berühmten Zeitgenossen Händel und Telemann - letzterer wurde sein Freund und auch Patenonkel seines Sohnes Carl Philipp Emanuel, des späteren Kantors und Nachfolgers seines Patenonkels am Hamburger Michel - keine einzige Oper geschrieben. Die innere Dramatik, die Spannung, die Bach im Verlaufe der Matthäus-Passion aufbaut, hat aber in der Tat etwas durchaus Opernhaftes, so daß die Assoziation „Oper“ absolut zulässig ist.
 
Der dramatische Entwurf ist ebenso feinsinnig wie einfach: die Passionsgeschichte wird in eine Folge musikalischer Bilder zerlegt. An den charakteristischen Punkten bricht die Erzählung ab, die in den Rezitativen, z.T. auch in Chören dargeboten wird. Die Szene, die sich soeben abgespielt hat, wird Gegenstand frommer Betrachtung, die sich in Arien ausspricht, denen nicht selten ein ariosohaftes Rezitativ vorausgeht. An kleineren Ruhepunkten drücken Choralverse die Empfindungen der Gläubigen aus - eine vergleichbare kontemplative Rolle spielte der Chor in der klassischen griechischen Tragödie. Die Choral-Verse mußte Bach übrigens komplett selbst auswählen - die Dichter der damaligen Zeit hielten es für unter ihrer Würde, sich mit einer so „untergeordneten“ Aufgabe wie des Aussuchens von Texten abzugeben. Aber gerade darin, wie und an welchen Stellen Bach bestimmte Choral-Strophen in das Werk eingeflochten hat, zeigen sich sein Glaube und dichterischer Sinn in ihrer wahren Tiefe: es ist unmöglich, im gesamten deutschen Kirchenliederschatz auch nur einen Vers zu entdecken, der die betreffende Stelle in der Matthäus-Passion besser hätte ausfüllen können als die, die Bach dazu ausersah.
 
Die Matthäus-Passion besteht aus zwei Teilen, woraus sich die früher häufigere Aufführungspraxis über zwei Abende erklärt:
Teil 1 enthält die Szenen „Salbung in Bethanien“,  „Abendmahl“ und „Am Ölberg“,
Teil  2 die Szenen „Falsches Zeugnis“, „Verhör von Kaiphas und Pilatus“, „Überantwortung und Geißelung“, „Kreuzigung“ und „Grablegung“.
 
Im Ganzen zerfällt die Passion in etwa 24 Szenen: zwölf kleine, die durch Choräle bezeichnet werden, und zwölf größere, bei denen der Hörer den Arien lauscht. Die Aufgabe, die Passionsgeschichte zu erzählen und gleichzeitig tiefgläubige Anteilnahme zu artikulieren, ist in der denkbar vollkommensten Weise gelöst. Je intensiver und länger man den dramatischen Aufbau der Matthäus-Passion miterlebt, desto mehr wächst die Überzeugung, ein Wunderwerk zu erleben.
Die dramaturgischen Mittel, also die Kompositionsformen der Matthäus-Passion, sind Chöre, Choräle, Rezitative, Arien und Ariosi.
 
Die Chöre der Passion eröffnen oder beschließen das Werk - „Kommt, Ihr Töchter, helft mir klagen“ und „Wir setzen uns mit Tränen nieder“ -, oder sie besingen besonders dramatische Stellen der Leidensgeschichte Jesu wie z.B. der dissonante Aufschrei „Barrabam“, mit dem sich das Volk für Barrabas und gegen Jesus entscheidet. Bach hat in der Matthäus-Passion zwei vierstimmige Chöre eingesetzt (weil er in der Thomaskirche zwei Emporen zur Verfügung hatte und den damit verbundenen „Stereo-Effekt“ ausnutzen wollte). Im Eingangschor wirkt noch ein dritter Chor mit, der einstimmig und in kunstvollster Weise den Cantus Firmus des Chorals „O Lamm Gottes“, auch heute noch, wenn irgend möglich, von den Sopranstimmen eines Knabenchores gesungen, in die Polyphonie der acht Chorstimmen einflicht.
 
Dazu muß man sich  vergegenwärtigen, daß Bach in seiner Leipziger Zeit selten mehr als 36 Sänger zur Verfügung hatte, die Schüler seiner Thomas-Schule eben. Daraus mußte er zwei vierstimmige Chöre bilden und auch noch die Solisten auswählen, denn in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts durften Frauen zumindest in den Kirchen musikalisch noch nicht auftreten. Die z.T. höchst schwierigen Sopran- und Alt-Arien, die noch heute den gut ausgebildeten Sängerinnen ihr ganzes Können abverlangen, wurden damals also ebenfalls von Knaben gesungen. Die Instrumentalisten holte er sich meist aus kammermusikalischen Laienzirkeln wie z.B. dem Collegium Musicum, deren Können gleichwohl beachtlich war - wie überhaupt das rein spieltechnische Niveau der Musiker der damaligen Zeit im Durchschnitt sehr hoch war.
 
Die Choräle kennen wir, was den (vom Sopran gesungenen) Cantus Firmus, also die eigentliche Melodie betrifft, aus unseren Gesangbüchern. Hinzu kommt in Bachs Oratorien allerdings der kompositorisch höchst anspruchsvolle, gleichwohl sehr eingängige meist vierstimmige Satz mit den zusätzlichen Stimmen Alt, Tenor und Baß. (Alt ist hier keine gerontologische Bezeichnung, sondern kommt von lat. Altus = hoch, früher also eine besonders hohe Männerstimmlage, dem heutigen Counter-Tenor vergleichbar).
 
Die Rezitative werden ganz überwiegend von einem eigens dafür engagierten Tenor gesungen: die Rolle ist wegen ihres quantitativen wie ihres Oktav-Umfangs physisch extrem anstrengend zu singen. Sie erzählen in einer Art Sprechgesang den größten Teil der Leidensgeschichte.
 
Die Arie, als Kompositionsform seit etwa der Mitte des 17. Jahrhunderts verwandt, ist ein groß angelegtes Sologesangsstück von einer in sich geschlossenen Form mit Instrumental-Begleitung, bei dem nicht selten der Hauptteil nach einem Mittelteil wiederholt wird.
 
Das Arioso
ist ein meist kurzes Gesangsstück mit einem formalen Charakter zwischen Arie und Rezitativ. Das berühmteste und wohl auch schönste  Arioso der Musik-Geschichte sehen viele in Jesu Einsetzungsworten des Abendmahls in der Matthäus-Passion. Ein wunderschönes Arioso, manchmal vom Solisten-Quartett, gelegentlich auch vom Chor gesungen, ist auch die vom Baß über Tenor und Alt bis zum Sopran gesungene Einleitung  „Nun ist der Herr zur Ruh’ gebracht….“  zum Schluß-Chor „Wir setzen uns mit Tränen nieder….“  -  in seinem Schluß-Akkord mit dem wohl berühmtesten Vorhalt der Musikgeschichte.
 
Die musikalisch-kompositorisch-instrumentalen Effekte, die Bach , wie schon in der Johannes-Passion und im Weihnachts-Oratorium, so auch in der Matthäus-Passion verwendet, unterstreichen an zahlreichen Stellen die jeweilige inhaltliche Aussage. So z.B. in dem erwähnten Schrei „Barrabam“, in dessen dissonanter Dramatik der ganze Haß des Volkes auf Jesus ausbricht, oder  -  ebenfalls überaus eindrücklich - im Rezitativ nach der Sterbeszene am Kreuz  „Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriß in zwei Stück von oben bis unten aus“. Die nicht selten gespielte Instrumentalfassung dieser Passage stammt übrigens von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Bach hatte dafür lediglich die Orgel solo vorgesehen. Man spricht in solchen Fällen, wenn die Musik sozusagen lautmalerisch den Inhalt verstärkt, von „Programm-Musik“. An anderen Stellen hat Bach einzelne Nummern hintereinander „durchkomponiert“ oder den Chor in eine Arie oder ein Arioso eingebaut, was den dramatischen Effekt der jeweiligen Passagen unterstreicht.
 
Zur Aufführungspraxis ist noch anzumerken, daß neben den Arien-Solisten Sopran, Alt, Tenor und Baß üblicherweise wie gesagt ein Rezitativ-Tenor eingesetzt wird und auch die Christus-Worte wegen der Verehrung des Sohnes Gottes meist von einem anderen Solo-Bassisten gesungen werden als die übrigen Baß-Arien und -Rezitative. Die Rezitative werden normalerweise von der Continuo-Gruppe, also Cembalo, Cello und häufig Kontrabaß begleitet, gelegentlich auch von der Orgel. Das Orchester ist z.B. bei den Arien häufig nur ein reines Kammer(streich)orchester, bei den Chören dagegen ein großes Barockorchester, also eigentlich ein großes klassisches Orchester, allerdings ohne die Klarinette, die Bach noch nicht kannte, weil es sie schlicht noch nicht gab, und mit etwas weniger Blech als zur Zeit der fortgeschrittenen Wiener Klassik.
 

Ein paar Worte zur Geschichte der Matthäus-Passion


In der Reihe seiner Passionen ist sie, Karfreitag 1729 erstmalig komplett aufgeführt, die zweite. Im Jahre 1725 hatte er die Johannespassion ebenfalls in Leipzig komponiert und aufgeführt. Eine Lukas-Passion aus den 1730-er Jahren existiert nur in Bruchstücken, ebenso eine Markus-Passion. Die Uraufführung der Matthäus-Passion 1729 war kein besonders großer Erfolg, dennoch hat er das Werk  nach mehreren „Feinschliff - Veränderungen“ noch einige Male in Leipzig aufgeführt, was damals nicht unbedingt üblich war. Nach seinem Tode 1750 gerieten Bach und sein kompositorisches Werk schnell in Vergessenheit. Zumindest zwei seiner Söhne, der „Londoner Bach“ Johann Christian, zeitweise ein Lehrer Mozarts, und vor allem der Hofcompositeur am Hofe Friedrichs des Großen und langjährige Hamburger Michaelis-Kantor Carl Philipp Emanuel,  waren zu ihren Lebzeiten und darüber hinaus zunächst weit bekannter und berühmter als ihr Vater Johann Sebastian, dessen Werke musikalisch Fachkundigen zwar bekannt waren, aber einfach nicht gespielt wurden. Bis Felix Mendelssohn-Bartholdy auftrat und das änderte.
 
Felix war ein  Enkel des größten Vordenkers der Aufklärung Moses Mendelssohn und Sproß einer der kulturell und wirtschaftlich - sein Vater Abraham war einer der bedeutendsten Bankiers in Mitteleuropa - führenden Familien Europas. Schon als kleiner Junge hatte er dem weitaus älteren Goethe in dessen Haus am Weimarer Frauenplan stundenlang auf dem Klavier vorspielen dürfen, das er virtuos zu spielen verstand. Darüber hinaus hatte er schon als Kind angefangen zu komponieren. Als 20-jähriger inzwischen schon sehr erfolgreicher Komponist und Dirigent besann sich Felix Mendelssohn-Bartholdy darauf, daß der Leiter der Berliner Sing-Akademie, des ersten und vor allem größten gemischten Chores in Deutschland, der berühmte Liederkomponist, Goethe-Freund und langjährige musikalische Lehrer Felix Mendelssohns, Carl Friedrich Zelter, eine vollständige Kopie der Original-Partitur der Matthäus-Passion besaß. Und Felix wollte dieses Werk, das 100 Jahre lang nicht aufgeführt worden war, zu neuem Leben erwecken.
 
Gemeinsam mit seinem Freunde Eduard Devrient, Sproß einer bekannten Künstlerfamilie, der eine Karriere als Sänger und Schauspieler anstrebte und in der Passion die Christus-Worte singen wollte, bestürmte er Zelter, ihm Chor und Raum der Sing-Akademie für die Aufführung der Matthäus-Passion zu überlassen. Das Orchester werde er mit seinem eigenen Geld bezahlen - was ihm nicht schwer fiel, weil sein Vater Abraham wie gesagt eine sehr erfolgreiche Bank  führte. Zelter aber leistete wochenlang mürrischen Widerstand, weil er die Passion wegen ihrer kontrapunktisch-polyphonen Kompliziertheit und wegen ihrer Anforderungen an Sänger und Instrumentalisten für nicht aufführbar hielt. Schließlich gab er dem stürmischen Drängen seines mit 20 Jahren sehr jugendlichen ehemaligen Schülers  nach - die Proben konnten beginnen. Die Stimmen aus der Partitur mußten für Chor und Orchester von Hand vielfach kopiert, also schlicht abgeschrieben werden, was Freunde Mendelssohns honorarfrei erledigten.
 
Mendelssohn hat die Urfassung etwas gekürzt, weil er befürchtete, daß man dem Berliner Publikum eine 4-stündige Passion nicht zumuten könne. Bei dieser leicht gekürzten Fassung ist es bis heute geblieben. Die Komposition selbst hat er nur ganz sparsam bearbeitet, z.B. wie erwähnt die nachträgliche Instrumentierung des „von oben nach unten aus“ - reißenden Tempelvorhangs. (Im Übrigen hat er in seinen eigenen Oratorien, z.B. im „Elias“ in dem 5-stimmigen Chor  “Der Herr hat seinen Engeln befohlen über Dir…“ die Polyphonie der Bachschen Kontrapunktik in meisterlicher Manier nachempfunden, die zu seiner Zeit, also nach der Wiener Klassik der Mozarts und Haydns und so vieler Anderer, längst „aus der Mode“ war).
 
Der Rest ist schnell erzählt: der für damalige Verhältnisse riesige Saal der Berliner Sing-Akademie war Wochen vor dem 11.3.1829 ausverkauft, Mendelssohn hatte die Miete von 50 Talern aus eigener Tasche sehr früh vorfinanzieren müssen, weil der Akademie-Vorstand nicht an einen Erfolg glaubte. Die Aufführung wurde dann aber ein so großer Erfolg, daß sie wiederholt  werden mußte, erst in Berlin, dann auch in  Königsberg, Stettin und anderen Städten. Wenig später erschien ein Klavier-Auszug der Passion, weitere Noten von Bach wurden gedruckt und veröffentlicht - man kann schlicht feststellen, daß Mendelssohn die Bach-Renaissance eingeleitet hat, die Bach zu einem der bis heute meistaufgeführten Komponisten auf der ganzen Welt gemacht hat.
 
Mendelssohn hat übrigens , was hier nur kurz angemerkt sei, zu seinen Lebzeiten einen größeren Einfluß auf sein zeitgenössisches Musikleben ausgeübt als Mozart oder Beethoven oder sonst  irgendein anderer Komponist zu seiner jeweiligen Zeit. So hat er Werke seiner Freunde Schubert  und Schumann - vor allem Schubert war zunächst weitgehend unbekannt - aufgeführt und damit bekannt gemacht, er hat den Taktstock „erfunden“ und hoffähig gemacht, und er war der erste alleinige, also Solo-Dirigent vor einem Orchester - bis dahin stritten sich einzelne Orchestermusiker um diese Rolle, indem sie gleichzeitig ihre jeweilige Instrumentengruppe dirigierten. Darüber hinaus hat er Musikfeste am Niederrhein, in Düsseldorf, in England und anderswo durchgeführt und populär gemacht und…  und…und….  Er war einer der ganz großen musikalischen Protagonisten des 19. Jahrhunderts, und ihm verdanken wir die Wiedergeburt der Bachschen Musik.
 
 
Der Komponist
 
Johann Sebastian Bach, mit Recht  immer wieder apostrophiert als einer der größten Komponisten aller Zeiten, wurde am 21.3.1685 in Eisenach geboren. Seine Mutter und sein Vater Ambrosius, Stadtmusikus in Eisenach, starben im selben Jahr 1695, sodaß der Zehnjährige zunächst von seinem Bruder Johann Christoph, Organist in Ohrdruf, erzogen wurde, vor allem auch orgelpädagogisch. Die Bachs waren eine überaus weit verzweigte Musiker-Familie in Thüringen und Sachsen, und wann immer Kinder geboren wurden, wurden sie Musiker.
 
Die wichtigsten Stationen im Leben des Johann Sebastian Bach waren:
1700 Stipendium an der Michaelis-Klosterschule in Lüneburg, wo er wie ein Besessener zeitgenössische Komponisten einfach nur abschrieb und sich so eine absolut einmalige, weil ziemlich vollständige Kenntnis über damals bekannte Kompositionstechniken erwarb. Von Lüneburg aus war er mehrmals in Hamburg, wo es an den fünf Hauptkirchen ein reges Kirchenmusikleben gab.
1703 Organist in Arnstadt (1705 eine Studienreise zu Dietrich Buxtehude nach Lübeck, für die er vom Stadtrat in Arnstadt vier Wochen Urlaub bekommen hatte, aber vier Monate blieb und sich dadurch großen Ärger einhandelte)
1707 Organist in Mühlhausen
1708 Hoforganist und seit 1714 auch Hofkonzertmeister in Weimar
1717 Hofkapellmeister in Köthen, wo er, in der glücklichsten Station seines Lebens, die Brandenburgischen Konzerte, die Orchester-Suiten, das „wohltemperierte Clavier“ und so anspruchsvolle Cembalo-Solo-Werke wie die “Chromatische Fantasie und Fuge in d-moll“ komponierte
Ab 1723 Kantor der Thomaskirche und Lehrer der Thomasschule in Leipzig.
Am 28.7.1750 stirbt Bach in Leipzig. Sein Denkmal steht heute vor dem Eingang der Thomaskirche.
 
In erster Ehe war er mit seiner Groß-Cousine Barbara Bach verheiratet, die 1720 starb, in zweiter Ehe mit Anna Magdalena  geb. Wülcken, für die er das berühmte „Notenbüchlein“ verfaßte, damit sie das Cembalo-Spiel besser erlernen konnte - bis heute ein musikpädagogisches Standardwerk für den klavierspielenden Nachwuchs.
Bachs bereits zu ihren Lebzeiten berühmt gewordenen Söhne sind Carl Philipp Emanuel, Wilhelm Friedemann, Johann Christian (der Londoner) und Johann Christoph Friedrich, allesamt sehr fruchtbare Komponisten und berühmte ausübende Musiker ihrer Zeit.
 
Bachs Werke sind Legion. Sie sind katalogisiert  im Bach-Werke-Verzeichnis BWV. Vielen sind seine Oratorien bekannt, also die Passionen, das Weihnachtsoratorium, die h-moll-Messe, darüber hinaus seine Motetten und Kantaten (der Stadtrat von Leipzig hat fünf Jahrgänge Sonntagskantaten, jeden Sonntag eine andere, also 5 x 52 = 260 Kantaten für unterschiedlichste Besetzungen, von Bach verlangt - und auch erhalten, wovon drei Jahrgänge erhalten sind), Klavierwerke wie z.B. die Solo-Konzerte oder die Goldberg-Variationen, das sehr umfangreiche Orgelwerk, Sonaten für Flöte, Geige und Cello (jeweils Solo oder auch als Triosonaten), Solo-Partiten (virtuose Stücke ohne jede Begleitung) für Flöte, Geige oder Cello, die sechs Brandenburgischen Konzerte im Stile der damaligen concerti grossi, die vier Orchester-Suiten, Präludien und Fugen durch den gesamten Quintenzirkel, also für alle dur- und moll - Tonarten, Choral-Variationen ohne Ende und, als kontrapunktische Spätwerke, „Das Musikalische Opfer“, eine Kammermusik über ein Thema, das ihm Friedrich der Große aufgegeben hatte, und „Die Kunst der Fuge“, die diese Bezeichnung in der Tat verdient, weil sie „die Fuge schlechthin“ ist und diese Kompositionsform auf höchstem kontrapunktisch-polyphonen Niveau nachgerade exekutiert.
 

Abschließend zu Bach und Hamburg
(der Verfasser wohnt dort)


Im September 1720 war der Organist und Küster (ein damals nicht eben unüblicher Doppelberuf) an der Jacobi-Kirche, Heinrich Friese, gestorben. Ein Nachfolger wurde gesucht, und Bach, der es in Köthen nach dem Tode seiner geliebten Frau Barbara dort nicht mehr aushielt, weil ihn dort alles an sie erinnerte, bewarb sich. Verbessern würde er sich sicher nicht - ein Hofkapellmeister war allemal mehr als ein Organist und Küster. Aber er wollte eben weg, und er schrieb sogar eigens eine Bewerbungskantate. Auch musikalisch war Hamburg damals durchaus attraktiv. Die Musik aus Italien und Frankreich wurde genauso gern und gut aufgeführt wie die aus Wien und Dresden. Bach kannte Hamburg aus seiner Lüneburger Zeit und war zuversichtlich, sich hier wohlfühlen zu können. Auch schätzte Jacobi-Hautpastor Erdmann Neumeister Bach sehr, hatte dieser doch ein paar Texte von jenem in einigen seiner Kantaten vertont.
 
Bach befand sich, 35 Jahre alt,  auf der Höhe seiner orgelspielerischen Fähigkeiten. Er spielte alles, was man von ihm wollte, improvisierte anderthalb Stunden (!) über den Choral „An Wasserflüssen Babylon“, ohne sich in auch nur einem Takt zu wiederholen, und bekam das Amt am Ende doch nicht. Denn in Hamburg, wo man auch damals schon ein ausgeprägt ambitioniertes Verhältnis zum Gelde hatte, war es nun mal üblich, daß einer, der ein Amt bekam, sich dafür auch erkenntlich zeigte. Das sah sein Mitbewerber Johann Joachim Heitmann, ein Hamburger aus sehr angesehener Familie, genauso, und zahlte der Gemeinde 4000 Mark in Gold. Bach, Vater und Ernährer einer ziemlich kinderreichen Familie am Hofe einer allenfalls mittelständischen Residenz wie eben Sachsen-Anhalt-Köthen, hatte nie etwas zurücklegen können, und so hatte er soviel Geld natürlich nicht. Also blieb er zunächst in Köthen, und Hamburg blieb ohne Bach. Viele Jahre später allerdings ist Hamburg dadurch entschädigt worden, daß Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel Nachfolger seines Patenonkels Georg Philipp Telemann als wohlbestallter und auch -bezahlter Organist und Kantor am Michel wurde.


Redaktion: Frank Becker