Das Banat

Vergessene Schicksale - Die Donauschwaben

von Jürgen Koller

© DHM
Vergessene Schicksale – die Donauschwaben

- Das Banat –

Reise des Erinnerns an ein wenig bekanntes Europa

 
Anläßlich der Eröffnung der Ausstellung  „Erzwungene Wege“– gezeigt im Jahr 2006 im Kronprinzenpalais Berlin – warnte Bundestagspräsident Norbert Lammert davor, „Einzelschicksale verdrängen zu wollen, um für die großen Zusammenhänge und für das veränderte Verhältnis von Nachbarländern zueinander Irritationen zu vermeiden“. Aber es geht immer um das Schicksal des Einzelnen, auch wenn das „Gras des Vergessens“ diese Lebens- und Schicksalswege im Bewusstsein unseres Volkes  oftmals überwuchert hat.
Am 4. Dezember 2008 beschloß der Deutsche Bundestag nach jahrelangen politischen Querelen und kleinlichen Streitereien eine unselbständige „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ als Teil der Stiftung „Deutsches Historisches Museum“. Sinn und Zweck dieser unselbstständigen Stiftung ist es laut Gesetzestext, „im Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihrer Folgen wach zu halten“. *)
 
Eine in  der gegenwärtigen deutschen Geschichte kaum noch  beachtete deutschstämmige Volksgruppe sind die Donauschwaben. Das Schicksal dieser Deutschen, die einst an der Donau etwa im Raum um Novi Sad – der  Vojvodina - in Serbien, aber auch auf der anderen Donauseite in Rumänien und Ungarn – das gesamte Gebiet hieß Banat - siedelten, steht  im Schatten der großen Vertreibungen der Ostpreußen, Pommern, Schlesier oder Sudetendeutschen.
 Mit der Geschichte der Donauschwaben verband mich als Sachsen und späterem Nordrhein-Westfalen bisher kaum etwas. Erst über in den 90er Jahren neu entstandene Familienbande, die in ihrem  Ursprung auf das ehemals deutsche Glogon im serbischen Banat zurückgehen, und nachdem ich ein größeres Konvolut Holzschnitte unter dem Thema „Weg des Grauens“ des gleichfalls aus dieser Ortschaft  stammenden österreichischen Künstlers Ludwig Heim in die Hand bekommen hatte, habe ich mich intensiver mit den Donauschwaben und besonders mit dem Schicksal der Glogoner Deutschen beschäftigt.
 
Es war während der Herrschaft von Kaiserin Maria Theresia von Österreich, als in den Jahren 1770-1772 die ersten Deutschen, nicht nur aus Schwaben, in der Ortschaft Glogon ansässig wurden. In anderen Regionen dieses Gebietes an Donau und Theis waren schon früher deutsche Bauern und Handwerker - Schwaben, Württemberger, auch Menschen vom Ober-Rhein, aus der Pfalz und Hessen, aber auch Elsässer, Franzosen und Schweizer - den Werbern Karls VI., der Regentin Maria Theresia und später unter Josef II. gefolgt. Der Österreichischen Krone ging es um machtstrategische Interessen zur Sicherung der Reichsgrenzen im Süd-Osten und um wirtschaftliche Stabilisierung der Region bei diesen Siedlungsaktionen.
Alle diese Siedler wurden später umgangssprachlich als  „Donauschwaben“  bezeichnet. Die Aussicht auf Befreiung von der Leibeigenschaft und auf freies Land, unentgeltliche Zuweisung von Häusern, Baumaterial und Brennholz, Vorstreckung von Ackergeräten und Saatgut, gänzliche Steuerfreiheit für die ersten drei Jahre und teilweise auch für die folgenden drei Jahre, aber auch Handelsfreiheit, eigene Seelsorger und Lehrer, für deren Unterhalt die Monarchie aufkam, führte über 100 000 Menschen in dieses unwegsame sumpfige, sommers von der Steppensonne verglühte, zugleich von der Malaria geplagte Land, das aber winters auch eisige Kälte kannte.
Es galt der Kolonistenspruch: „Der erste findet Tod, der zweite leidet Not, der dritte erst hat Brot“. 1)
 
Unter größten Opfern machten sie das fruchtbare Land an der Donau und ihren Nebenflüssen urbar und lebten überwiegend als Bauern, die den berühmten Banater Weizen und Mais anbauten, aber auch Viehzucht, Obst- und Weinbau betrieben. Im Laufe der Jahrzehnte brachten es die deutschen Siedler mit härtester Arbeit, Fleiß, Zähigkeit und Sparsamkeit zu einem gewissen Wohlstand - die Höfe waren gepflegt, die Dörfer wohnlich und sauber, Mittelpunkt waren die katholischen Kirchen und die Schulhäuser.
Bis zum Ende der Habsburger Monarchie im Jahre 1918 waren die Menschen im Banat Staatsangehörige von Österreich-Ungarn, obgleich das Banat  seit Ende des 19.Jahrhunderts auf der Basis eines innerstaatlichen Abkommens zu Ungarn gekommen war. Mit einer intoleranten Politik gegenüber den nichtungarischen Bevölkerungsgruppen verfolgte das Königreich Ungarn das Ziel, alle seine Bürger zu madjarisieren, d.h. sprachlich und kulturell zu Ungarn zu machen. So wurde Unterricht in deutscher Sprache nicht mehr erlaubt, deutsche kulturelle Einrichtungen wurden verboten. Ähnlich erging es aber auch den anderen nationalen Minderheiten im Banat.
Dann erfolgte nach 1918 durch die Siegermächte des 1.Weltkrieges am grünen Tisch die Aufteilung des Banat – zwei Drittel fielen an Rumänien, ein knappes Drittel kam zum neu gegründeten Staat Jugoslawien und ein kleines Reststück kam zu Ungarn.
 Die Ortschaft Glogon (2.500 Einwohner, davon etwa 2000 Deutsche), kam unter serbische Verwaltung und nannte sich nun Glogonj. Serbo-Kroatisch wurde Staatssprache, aber in der Volksschule konnte wieder Deutsch gelehrt und gesprochen werden. Die verschiedenen Völkerschaften des serbischen Banat kamen in der „Zwischenkriegszeit“ so einigermaßen miteinander aus – Serben, die die Beamtenschaft stellten, Deutsche, Rumänen,  Ruthenen (ehemalige Ukrainer), Ungarn, aber auch Zigeuner und Juden.
 
Dann überzog der Krieg das friedliche Banat - mit dem Ende des Jugoslawien-Feldzugs im Jahre 1940 wurde auch das serbische Banat durch die deutsche Wehrmacht besetzt. Viele der nunmehr „volksdeutschen“ Männer, so die abfällige Bezeichnung durch die Nazis, wurden zur Wehrmacht eingezogen. Es meldeten sich aber auch „Volkdeutsche“ aus dem Banat und aus Siebenbürgen  zur SS-Freiwilligen Division „Prinz Eugen“. Etliche wurden zwangsweise zu dieser auf dem Balkan operierenden SS-Einheit rekrutiert, die für ihre für ihre gnadenlose Härte berüchtigt war.
Gegen Ende des Jahres 1944 kam die Kriegsfurie mit unvorstellbarer Grausamkeit über die Donauschwaben im serbischen Banat. „Am 5. Oktober 1944 wurde Glogon von den Russen besetzt. Aber schon einen Tag vorher drangen Partisanen aus umliegenden serbischen Nachbardörfern in Glogon ein und plünderten hemmungslos die deutschen Häuser. Man wurde in Glogon, wie auch in anderen Gemeinden des Banat, von dieser Besetzung einfach überrascht. Andererseits dachte man aber überhaupt nicht an eine Flucht, denn niemand fühlte sich in irgendeiner Weise dazu gezwungen, und Hab und Gut wollte man eh nicht ohne weiteres, und wie man glaubte – grundlos, zurücklassen – sodaß die Erkenntnis, vielleicht doch nicht richtig gehandelt zu haben, letztlich zu spät kam.“ 2) 
 
Es kam zu grauenhaften Ereignissen: Erschießungen von Jugendlichen und alten Bauern – die anderen Männer waren ja an der Front - Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt, die Höfe wurden noch und noch geplündert.
Am 30. Oktober wurden über vierzig deutsche Männer und Jungen aus Glogon, die zwangsweise zusammen mit Serben, Rumänen, Ungarn von der neuen Gemeindeverwaltung in das Ried im Nachbarort Opovo zum Flugplatzbau getrieben worden waren, von Partisanen ausgesondert und am Schinderplatz von Opovo erschossen. Am gleichen Tag „zog  fast zur gleichen Zeit eine Abteilung Partisanen in Begleitung eines Rumänen in Glogon von Haus zu Haus und verhaftete die noch zu Hause verbliebenen Männer. Sie wurden in die unteren Kleegärten, auf die Hutweide getrieben, wo die Zigeuner schon ein Massengrab geschaufelt hatten, und wurden dort mit Maschinengewehren ebenfalls einfach niedergemäht.“ 3)
Welches Ausmaß die Verbrechen der Tito-Partisanen in jenen Oktobertagen 1944 angenommen hatten, soll noch an einem weiteren Ereignis belegt werden. In der Nachbar-Stadt Groß-Betschkerek sperrten Partisanen das Deutschen-Viertel ab. Jeder Mann wurde gefragt: “Bist du ein Deutscher?“ War er ein Deutscher, folgte darauf der Befehl aus drei Worten: “Fesseln und erschießen!“ Nach fürchterlichen Mißhandlungen wurden diese deutschen Männer dann im serbischen Viertel von Groß-Betschkerek erschossen. 4)
 
In den Tagen um Weihnachten 1944 wurden die im Banat verbliebenen arbeitsfähigen deutschen Männer zwischen 18 und 40 Jahren und Mädchen und Frauen zwischen 18 und 35 Jahren  zusammengetrieben, um als Zwangsarbeiter in die Sowjetunion zur „Wiedergutmachung“ deportiert zu werden. Unter erbärmlichsten Bedingungen – in Viehwaggons - wurden diese Menschen in wochenlanger Fahrt nach Kriwoi Rog, Stalino, Charkow oder Rostow verfrachtet, um für die Sowjets in Bergwerken, Fabriken und Wäldern zu schuften. Auch die Mädchen und Frauen wurden zu schwerster Sklavenarbeit eingesetzt. Dem „weißen“ Tod, dem Hungertod fielen Tausende zum Opfer.
Von den geschätzten 40.000 aus dem Banat deportierten Mädchen und  Frauen überlebte nur ein Drittel diese Tortur, die für viele Überlebende erst nach 1949 endete. 5)  Dieses bittere Schicksal erlitt auch meine Verwandte  aus Glogon, die im Alter von zwanzig Jahren am 30. Dezember 1944 deportiert und erst am 13. Mai 1949 entlassen wurde.
Besonders tragisch hatte es Tausende deutsche Kinder getroffen, deren Mütter deportiert worden waren. Die kleineren, wenn sie denn überhaupt überlebt hatten, wurden in Kinderheime in entlegene Teile Jugoslawiens verfrachtet, um „jugoslawisiert“ zu werden,  andere erhielten serbische, kroatische oder slowenische Namen und Papiere.
 
Nur wenigen Deutschen aus dem serbischen Banat gelang damals in den letzten Kriegsmonaten die Flucht ins „Reichsgebiet“ nach Österreich. Die verbliebenen Deutschen wurden von den Tito-Leuten in Lagern zusammengepfercht.
Am 25. April 1945 erfolgte die totale Vertreibung der verbliebenen noch ca. 1.300 Deutschen aus Glogon. Die Menschen kamen in und um Glogon in Arbeitslager, besonders berüchtigt war das Hunger-Lager Rudolfsgnad, wo die Arbeitsunfähigen, Alte, Kinder und  Kranke dem sichern Tod ausgeliefert waren. Die Ortschaft Glogon zahlte von den überwiegend deutsch besiedelten Dörfern des Banat den höchsten Blutzoll: 470 deutsche Einwohner büßten ihr Leben ein – vergleichsweise wenige an der Front als Soldaten, viele dagegen durch Mord-Kommandos der Tito-Partisanen, durch Hunger und Krankheit in den Arbeitslagern und durch Deportation in die Sowjetunion. 6)
Ab August 1946 übernahmen „Kolonisten“ aus Jugoslawien dann Haus und Hof der verjagten Deutschen. Sie wurden ohne Hab und Gut in das besetzte Österreich und Deutschland vertrieben.
Spätestens mit der Auflösung der Arbeits- und Internierungslager 1948 war dann das serbische Banat frei von Deutschen – damit endete die deutsche Besiedlung des Banat, die im 18. Jahrhundert begonnen hatte. Heute findet sich in serbischem Prospektmaterial für Touristen kein Hinweis mehr auf 250 Jahre deutscher Besiedlung.
Die heimatvertriebenen Donauschwaben faßten später Fuß in der Bundesrepublik Deutschland oder in Österreich, viele wanderten auch in die USA aus – so gibt es noch heute in Los Angeles  eine „donauschwäbische Kolonie“.
 
Den Künstler Ludwig Heim, geboren 1914, hatte es nach der russischen Kriegsgefangenschaft in die Steiermark verschlagen, wo er als Schulleiter und Kunsterzieher arbeitete. Seiner donauschwäbischen Heimat, seinem Geburtsort Glogon und den Menschen im Banat blieb er lebenslang verbunden. Um 1970 schuf er dann aus tiefer religiöser Gesinnung zur Mahnung und Erinnerung die betroffen machende Holzschnitt-Mappe „Via crudeliatis“ - „Weg des  Grauens“. Dreißig Holzschnitte, gedruckt auf Japanbütten, die die Tragik des Erlebten benennen, aber auch vom Durchhaltewillen und vom Hoffen auf eine bessere Zeit künden.


Foto © Jügen Koller


Durch die Gründung der
„Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ kann davon ausgegangen werden, daß nunmehr auch die im serbischen Banat an den Donauschwaben begangenen Verbrechen und der erzwungene Exodus dieser deutschen Volksgruppe in dieser neuen Stiftung historisch korrekt aufgearbeitet werden.
 
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*) Zitiert nach: Ansgar Graw, „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“, in: DIE WELT vom 06. Dezember 2008
1) Zitiert nach: Hans Fleischmann, Glogonj (Glogau) – ein schwäbisches Dorf im jugoslawischen Banat; in: Der Donauschwabe vom 7. Januar 1971
2) Zitiert nach: Anton Theer, Ein verhängnisvoller Glaube; in: Der Donauschwabe  vom 7. November 1971
3) Ebenda: Anton Theer, Ein verhängnisvoller Glaube
4) Zitiert nach: Anton Theer,  Petrovgrad  - Groß-Betschkerek – Zrenjanin; in: Der Donauschwabe vom 17.Oktober 1971
5) Zitiert nach: VDA, Weltgewissen schwieg zum Belgrader Kinderraub;
      in: Der Donauschwabe vom 17. Juni 1979
6) Zitiert nach: Los Angeles/USA (Autor ungenannt), Glogon zahlte höchsten Blutzoll;  in: Der Donauschwabe vom 17.November 1974
 
Weiterführende Literatur: Völkermord der Tito-Partisanen 1944 -1948, Dokumentation, Herausgeber: Österreichische Historiker–Arbeitsgemeinschaft für Kärnten und Steiermark, 1993, A-8010 Graz; Erschienen bei Oswald Hartmann Verlag, D -74248 Ellhofen

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