Wenigstens der halbe Rigoletto
Versuch eines Premierenberichts trotz extremer Sichtbehinderung Premiere Theater Hagen - 10. Januar 2009
Der große Musiktheater-Regisseur Kurt Horres hat mir zu seinen Zeiten als Düsseldorfer Intendant bei einer Diskussion einmal gesagt: „Lieber Herr Bilsing, das dürfen sie alles nicht so streng und realistisch sehen. Das ist Kunst!“
Immerhin konnte ich aber wenigstens bei allen seinen Opern-Inszenierungen stets die ganze Bühne sehen. Eine Selbstverständlichkeit meinen Sie? Gestern beim „Rigoletto“ von Gregor Horres sah und hörte ich leider nur die Hälfte. Kleben Sie sich bitte einmal eine Zeitung quer über ihren schönen neuen großen Plasmabildschirm – diagonal von links unten bis nach rechts oben! Das war der Blick, den ich von meinem Kritikerplatz (vorletzte Reihe, links außen unter zwei Balkonen!) hatte. Wie lange schauen Sie dann noch ihren Lieblingsfilm CASABLANCA? Ich hab es, fairerweise, bis zur Pause durchgehalten. Immerhin freut es aber doch, wenn wenigstens das Hauspersonal gute Plätze in der Parkettmitte hat.
Malaisen
So ist es eigentlich auch kaum möglich, Musikalisches ernsthaft zu bewerten, doch wenn das Orchester (Ltg. Florian Ludwig) schon bei den allerersten Tönen wackelt, hört man dies auch vom schlechtesten Platz. Ich wünschte mir wenigstens in der Entführungsszene etwas schnellere Tempi, aber das ist Geschmackssache und überhaupt, bitte mehr Drive und Ausgeschlafenheit. Diese Musik muß das Herz berühren, den Puls beschleunigen und die Seele umschlingen! An der Rampe
Mein Gesamteindruck war, daß alle Sänger stets nur irgendwie herumstehen. Alle agieren seltsam neben ihren Figuren. Nichts berührt in dieser emotionslosen, unterkühlte Atmosphäre. Man hat den
Unter der Gürtellinie
Warum die Hofgesellschaft sich in einer Art hüpfendem Kreistanz ergehen muß, welcher aussieht, als bewegen Indianer sich in einem billigen Western ums Lagerfeuer, erschließt sich dem Bobachter ebensowenig, wie das permanente gegenseitige Kontaktieren unter der Gürtellinie oder der wasserspitzende, mächtige rote Dildo, den Rigoletto bedienen muß. Das erinnert an billigen
"Pssst! Das ist Kunst!"
Wieso die Partie des Sparafucile tenoral vermittelt und nicht mit einem Baß besetzt wurde, ist rätselhaft. So fehlt dem Auftritt von Orlando Masons in dieser Rolle jede Bedrohlichkeit und Dämonie. Schön, daß Gilda wenigstens neben einer stattlichen Ordensschwester auch ein weißer Stoffhase für ihr Seelenheil zur Verfügung steht. Die Entführung verläuft ebenerdig – auch der dekadente Rollstuhlfahrer ist wieder dabei – während Rigoletto augenverbunden die Leiter hält. „Wozu eigentlich die Leiter? Fragt mein Sitznachbar. „Pssst! Das ist Kunst!“ zische ich zurück. Erlösende Pause. Ab nach Hause. Mehr ging wirklich nicht, ohne ernsthaft Schaden zu nehmen. Heim zu meinem prächtigen 129-er Plasma-TV, die Rigoletto-DVD eingelegt und den zweiten Teil dieser herrlichen Verdi-Oper mit meinen Freunden Plácido Domingo, Ileana Cotrubas, Cornell McNeil & Johnny Walker wunderbar ohne Sicht- und Höreinschränkung und in DTS zu Ende genossen. Kein schöner Abend für Gilda, aber immerhin noch einer für den Kritiker.
Redaktion: Frank Becker |