Peter Handke, einmal ganz nah

"Die Tauben von Pazin" - erlebt...

von Friederike Zelesko

Foto © Friederike Zelesko

Peter Handke,
einmal ganz nah:

„Die Tauben von Pazin“
erlebt am 2. April 2008
 

Mitten im Land liegt Pazin. Mit dem Bus kommend vom Meer her, finde ich eine Stadt fast schlafend im Mittagslicht. Das Kastell liegt im Schatten der Hügel, vom Frühling beinahe übersehen. Ich steige den Berg hinauf zum Bahnhof und möchte die Tauben sehen, für die Peter Handke den Zug nach Pula versäumte, um „bei den Tauben des Sonntags zu bleiben“. Ich finde alles, so wie im Buch. „Die schmalen, kannelierten, gerundeten, altösterreichischen Bahnhofssäulen“ stehen stramm wie eh und je. Ich sehe das Fahnenrohr am Zwischenkapitell, sehe den Spatzen zu, die „zuhauf aus dem Staub wirbeln“, und natürlich höre ich „das Lauten der Tauben“, verfolge ihren Flug „durchs Bahnhofsvordach“, und viel später, bevor ich mit ein paar anderen Reisenden in den Triebwagen nach Pula steige, „betritt auch die Katze den Bahnhofsvorplatz“. Ich erspähe durch das Zugfenster das Motel am Stadtausgang, in dem Handke damals, am 22. August 1987, eine Nacht verbrachte, „am Rand eines Felsabgrunds, einer sogenannten ‚Einsturzdoline’, an deren Fuß tief unten, so eine Legende, Dante das Inferno betreten haben soll“.
 
Während der Fahrt nach Pula läuft draußen der Film: Istrische Landschaft Anfang April. Das Grün der Wiesen, das Grau der Steine, das Rot der Erde wechseln ständig im Bild. Jetzt wäre ich gerne mit Handke gereist, und wir hätten still beisammen gesessen und diesen Film geschaut, mit den Augen Veilchen gepflückt, die auf dem Böschungsbett neben der Bahn in großen, bequemen Polstern

Foto © Friederike Zelesko 
wachsen. Es ist schön, wie das Auge langsam das Buschwerk verschluckt, die Orte, die Hügel, die Löwenzahnwiesen, die hellen Olivenhaine. Vor einem winzigen Bahnhof steht ein Bediensteter mit roter Fahne. Nur wenige Reisende steigen ein und aus. Ein Alter mit einem kleinen Baum, einen Sack über den Wurzelballen gestülpt, zwei junge Mädchen stoßen sich lachend an und der Schaffner, der öfters mal kommt, redet mit allen. Ich rede mit Handke, der nicht weiß, daß hier schon der Flieder betäubend riecht und die Rosmarinblüten. Feigenbaumblätter strecken sich mit den Früchten zusammen, Zitronen, Kiwi und Trauben, alles in Trieben. Und abends, wieder am Meer, hat auch für mich, so wie damals für ihn, „ein Palmfächer gezittert, als seien es tausend Vögel“.
 
 
 
(Zitate: Peter Handke: Die Tauben von Pazin in: Noch einmal für Thukydides, dtv)
 
© 2008 Friederike Zelesko – Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009