"Dunkler See und Kiefernstämme..."

Walter Leistikow - "Stimmungslandschaften" / "Auf der Schwelle"

von Friederike Hagemeyer

Walter Leistikow - Kiefern am Seeufer
”Kleine Räume. Wenig Bilder,
aber auserlesen mit Strenge …”
 

Von diesem Prinzip, das der Maler 1892 selbst aufstellte, ließ sich das Berliner Bröhan-Museum bei der Gestaltung der Ausstellung „Stimmungslandschaften, Gemälde von Walter Leistikow“ offenbar leiten, und es machte so aus den baulichen Gegebenheiten eine Tugend. In den fast intim zu nennenden Räumen kann der Besucher die Entwicklung des Künstlers von seinen frühen Versuchen bis hin zum gefeierten Star der Berliner Kunstszene verfolgen. Die Arbeiten kommen gut zur Geltung. Die sorgfältig ausgewählten Werke anderer zeitgenössischer Maler zeigen Leistikows Bedeutung im europäischen Kontext und spiegeln die grenzüberschreitenden Kunstströmungen seiner Zeit.
 
Es gibt Neues zu entdecken; so beispielsweise, daß Leistikow sich nicht auf die Malerei beschränkte, sondern sich auch dem Kunstgewerbe zuwandte. Es gibt z.B. Bilderrahmen, die er für seine Gemälde gleich mitgestaltete (Katalog S. 98), Entwürfe für Teppiche und Stuhlbezüge (S. 144 – 145), Entwürfe für Tapeten und Druckstoffe (S. 156 – 157), ja sogar für Mosaikglasfenster (S. 146). Hier ist der Maler ganz ein Kind seiner Zeit, in der man versuchte, die als allzu eng empfundenen Grenzen zwischen Kunst und Handwerk zu erweitern oder gar verschwinden zu lassen.
 
Schriftsteller Leistikow
 
Eine wahre Entdeckung ist es auch, daß Leistikow sich als Schriftsteller versuchte. 1896 erscheint sein Roman „Auf der Schwelle“, dem  -  es sei gleich vorweggenommen  -  kein Erfolg beschieden war. Umso höher ist es dem AVI Arzneimittel-Verlag anzurechnen, daß er anläßlich des 100.

© AVI
Todestages des Maler-Autors einen Reprint herausgibt; er begründet diese Initiative so: „Daß dieses Buch ... neu aufgelegt wird, kommt nicht von ungefähr: Die Verlagsräume befinden sich im denkmalgeschützten Wasserturm auf dem Friedhof (Berlin-Steglitz), kaum 100 Meter entfernt von Leistikows Grab.“ (Leistikow, Schwelle, Rückumschlag)
Aus der Rückschau bleibt es fast unverständlich, daß dieses Buch damals unbeachtet blieb, denn bei genauerem Hinsehen handelt es sich um einen Schlüsselroman, in dem Orte und Personen der Berliner Kunstszene der 1890er Jahre nur wenig verschleiert erscheinen. Hans Lürssen, der Romanheld, ist als Mischung aus Leistikow und seinem engen Freund Gerhart Hauptmann zu identifizieren. Georg Brandes, der groβe Vermittler zwischen Deutschland und Skandinavien, fungiert als Namensgeber, unschwer sind Lou Andreas-Salomé, Rainer Maria Rilke und Friedrich Nietzsche zu erkennen. Mit dem Stadtplan in der Hand könnte man die Häuser, Straßen und Plätze ablaufen, wo sich die Berliner Künstler damals aufhielten und zu treffen pflegten.
Leistikow trug den Mißerfolg seines Romans mit Humor: „Nun, was besonderes ist es natürlich nicht geworden – höchstens der von mir entworfene Umschlag ist bemerkenswert, besonders deshalb, weil ich ihn mit einigen stilisierten Schwänen verziert habe, die fast allgemein für Strümpfe gehalten werden.“ (S. 42 – 43)
 
Vermittler zwischen Deutschland und Skandinavien
 
Beim Besuch der Ausstellung ruft einer meiner dänischen Freunde plötzlich aus: „Das sieht ja aus wie ein Edvard Munch!“ Er steht vor Leistikows „Abendstimmung am Schlachtensee“, entstanden etwa

© Deutscher Kunstverlag - Bröhan-Museum
1895 (Kat.-Nr. 30, S. 135), das auch den Umschlag des Katalogs schmückt. Und wahrhaftig, wer Munchs Gemälde "Mondschein" (Måneskinn) von 1895 (Katalog S. 89) kennt, dem fällt die Ähnlichkeit sofort ins Auge. "Dunkler See und Kiefernstämme..." beginnt ein Gedicht Alfred Kerrs, in dem er das sich neigende Licht und die Stille in Leistikows Bildern beschreibt, und er endet mit den Versen "...fein (besonders im Verzichten) / das war Walter Leistikow".
Leistikow, der Maler des Berliner Grunewaldes und der märkischen Landschaften  -  so kennen ihn viele Berliner. Dabei übersehen sie aber seine engen Beziehungen zu Skandinavien, in dessen Landschaften viele seiner Bilder entstanden.
Den Grund für Leistikows Liebe zum Norden legte wohl bereits sein Lehrer, der norwegische Landschaftsmaler Hans Gude. Wer in den 1880er und 1890er Jahren in  Berlins Künstlerkreisen verkehrte, traf unweigerlich auf skandinavische Schriftsteller wie z.B. August Strindberg, Georg Brandes und Gustaf af Geijerstam oder Maler wie Edvard Munch und Anders Zorn. Auf der Flucht vor dem engen geistigen Horizont ihrer Heimat zog es sie nach Berlin, das sich gerade zu einem neuen kulturellen Zentrum in Europa entwickelte. In diesen Kreisen lernte Leistikow die Dänin Anna Mohr kennen, sie heirateten 1894. Seitdem reiste die Familie Leistikow oft nach Dänemark und Norwegen, wo er Landschaften fand, die seine künstlerische Phantasie anregten und wo er Kontakte zu einheimischen Malern knüpfen konnte, wie z.B Joakim Skovgaard und Jens Ferdinand Willumsen. Leistikow wurde bald zu einem der wichtigsten künstlerischen Vermittler zwischen Deutschland, Dänemark und Norwegen. Berliner Künstler stellten 1894 in Kopenhagen aus, und Leistikow setzte sich in Berlin in besonderem Maße für Edvard Munch ein. Daβ 1904 bei der groβen Ausstellung der Berliner Sezession besonders viele skandinavische Maler vertreten waren, geht nicht zuletzt auf die Aktivitäten Leistikows zurück.
Nach dem tragischen Tod des Malers (1908) zog sich seine Frau mit ihren Kindern Gerda und

Gerda Benzon 1959 - Foto © Frank Becker
Gunnar in ihre Heimat nach Dänemark zurück. Die Kinder sprachen weiterhin untereinander deutsch; noch in hohem Alter wird Gerda (verheiratete Benzon) das wunderbar gepflegte Deutsch ihrer Berliner Kindheit sprechen.
 
Die Ausstellung „Stimmungslandschaften, Gemälde von Walter Leistikow“ ist noch bis zum 11. Januar 2009 im Bröhan-Museum in Berlin-Charlottenburg zu sehen. Sie sei kurz vor Schluß noch einmal allen Berlinern und Berlin-Touristen ans Herz gelegt; denn sie haben die Gelegenheit, die Vielseitigkeit „ihres Grunewald-Malers“ zu entdecken. Empfohlen sei auch der hervorragend gestaltete Katalog, der gut recherchierte Hintergrundinformationen, neueste Forschungsergebnisse und gute Abbildungen liefert.
 
Literatur:
"Stimmungslandschaften. Gemälde von Walter Leistikow". Hrsg. von Ingeborg Becker / Bröhan-Museum Berlin
München: Dt. Kunstverl. 2008. 240 S. mit zahlr. Abb.
ISBN 3-422-06829-5
Preis: Hardcover 39,90 € - An der Museumskasse 25,00 €
 
Walter Leistikow
Auf der Schwelle
© 2008 AVI Arzneimittel Verl.-GmbH Berlin, 268 S.
Reprint d. Ausg. Berlin: Schuster & Loeffler 1896.
ISBN: 978-3-921687-32-1, Preis: 12,50 €

Redaktion: Frank Becker