Der große weiße Mann des Blues

Johnny Winter - Live Through The 70s

von Eugen Egner
Der große weiße Mann des Blues
 
Ein wenig großsprecherisch wird das auf dieser DVD enthaltene Material aus den Jahren 1970, 1973, 1974 und 1979 als „unglaubliche Sammlung“ bezeichnet. So wild ist es nun auch wieder nicht, aber es ist doch schön, was man zu sehen und zu hören bekommt. Denn hier wird der junge, trotz seiner Drogenprobleme weitgehend unbeschädigt wirkende Johnny Winter bei der Arbeit (15 Musiktitel) und im Gespräch (vierteiliges Interview) gezeigt. Was in der Tat unglaublich wirkt, das ist die Bühnen-Inszenierung des grandiosen Gitarristen, dessen Gesangsleistung leider nie erstklassig zu nennen war. Welche Gewänder, Schuhe und Kopfbedeckungen der Mann getragen hat! Die Siebziger eben.

Aber auch ohne solchen Firlefanz war Winter, was sein Äußeres betraf, eine singuläre Erscheinung. Das gut einen halben Meter lange weiße Haar und der auffallend schlanke Körper machten ihn unverwechselbar. Und was letztlich wichtiger ist: Als Gitarrist war er ab 1968/69 der weiße Protagonist des Texas Blues (lange vor Stevie Ray Vaughan). Im Blues wirklich zu Hause und mit allen Wassern gewaschen, ist der heute 64jährige eine Legende. „Von Krankheit gezeichnet“ wie es heißt, ist Winter nach wie vor auf Tour. Er muß inzwischen im Sitzen spielen, aber die vorderen Extremitäten tun’s noch. Im Sommer 2008 soll er bei einem Konzert in den USA gar seinen Verstärker zum Qualmen gebracht haben.

Wenn man ihn heute so sieht (auf You Tube gibt es Aktuelles), ist einiges noch wie früher: Der Hut, die Haare, mal ist er glattrasiert, mal trägt er Vollbart -  aber wie er da zusammengesunken, inzwischen albinismusbedingt mehr oder weniger blind, vor dem Mikrophon sitzt und auf seiner kopfplattenlosen Erlewine Lazer-Gitarre leider doch nicht mehr so flink wie einst spielt, weckt er beim Betrachter den Wunsch, wieder den mit mehr Seh- und Tatkraft sowie seinen Gibson-Firebird-Modellen gesegneten, auf der Bühne herumfegenden Jüngling zu erleben.

Und dazu verhilft für 111 Minuten diese DVD. Die ersten drei Titel, 1970 in Dänemark aufgenommen, sind musikalisch zwar nicht berauschend, aber doch interessant, weil auch Bruder Edgar Winter an Keyboard, Schlagzeug und Saxophon (nacheinander) zu erleben ist. Die ebenfalls 1970 aufgezeichneten Titel aus der Royal Albert Hall in London bieten bei minderer Bildqualität u.a. eine furiose Interpretation von „Johnny B. Goode“. Aus demselben Jahr stammt die berühmte Beat-Club-Aufnahme von „Mean Town Blues“ mit Schlagzeuger Uncle John Turner und Bassist Tommy Shannon. Sie kann geradezu als das perfekte Johnny Winter-Denkmal betrachtet werden. Bemerkenswert sind weiterhin die Titel, die Winter anno 1973 (mit Vollbart sowie abenteuerlicher Kluft) und 1974 in der Besetzung mit Randy Jo Hobbs (b) und Richard Hughes (dr) zeigen, hier ist die Musik wesentlich rockorientierter, für meinen Geschmack hätte man in diesem Stil ruhig weitermachen dürfen. Bei „Boney Maroney“, einer Musikladen-Aufzeichnung von 1974, spielt ein zweiter Gitarrist, Floyd Radford, mit. Leider wird ein großer Teil des Stücks dadurch verdorben, daß Moderator Manfred Sexauer ausführlich hineinquatscht.

Vielleicht hätte man insgesamt eine „unglaublichere“ Auswahl veröffentlichen können, doch diese DVD hat auch ihre Vorzüge.
Beispielbild

Johnny Winter
Live Through The ‘70s

MVD visual

© 2008 Bullseye / In-Akustik
 
Titel:
1.Frankenstien
2. Be Careful Of The Fool
3. Drop The Bomb
4. Johnny B. Goode
5. Talk To Your Daughter
6. Tell The Truth
7. Mean Town Blues
8. Rock And Roll Hootchie Koo
9. Stone Country
10. Walking Through The Park
11. Walking By Myself
12. Mississippi Blues
13. Suzie Q
 
Gesamtzeit:  111 Minuten
 
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