Nur Mut oder Frau Proust lebt jetzt in Amerika

Eine Glosse

von Andreas Steffens

Foto © Zbigniew Pluszynski
Nur Mut oder
Frau Proust lebt jetzt in Amerika
 


„Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“  Das schönste von einer Frau geschriebene Buch. Es unterhält den Leser mit einer langen, bezaubernden Klatschgeschichte. Einer Klatschgeschichte, die große Dichtung geworden ist."



Diese achtungsvolle Respektlosigkeit notierte der wundersame Umberto Saba kurz nach Kriegsende während eines Rom- Aufenthaltes im Frühjahr 1945.
Damals war Marcel Proust in der europäischen Literatur noch ein Gerücht, und es brauchte noch gute zehn Jahre bis zur ersten vollständigen deutschen Übersetzung der >Recherche<. Seitdem ist er, vor allem dank des Kinos, zum Weltklassiker geworden.
So sehr, daß man nicht mehr wirklich wissen muß, um wen es sich handelt.
Gemeinsame Erinnerungen sind manchmal die besten Friedensstifter. Ein schöner Satz, und wer wollte bestreiten, daß es ihn in der umfangreichsten literarischen Meditation, die je über das Erinnern unternommen wurde, zu lesen gibt.
Woher auch immer genommen, die Redaktion des „Wochenend-Magazins“ einer der in Deutschland ebenso flächendeckend wie gehaltlos verbreiteten Tageszeitungs-Simulationen rückte den Satz in dessen Rubrik „Sprüche“, versehen mit dem Autor-Namen Marcel Proust. Auf dessen Bekanntheit mochte man, bei aller Berühmtheit, aber doch nicht ganz vertrauen, und setzte den Hinweis hinzu: amerik. Schriftsteller.
Mit der erlangten Berühmtheit setzt sogleich Verkennung der wahren Person ein, was sich bis zu absurden Verwechslungen steigern kann und man übersieht, daß es sich beim Verfasser der >Recherche< tatsächlich um eine Frau handelt, und diese durchaus nicht französischer sondern amerikanischer Nationalität ist. Die Strafe für Berühmtheit ist eben zuletzt die Unbekanntheit dessen, dem sie widerfährt.
Bei der allgemeinen Gutgläubigkeit haben es Richtigstellungen natürlich ungeheuer schwer. Da ist es nur zu bewundern, wenn sie bei aller Aussichtslosigkeit auf allgemeines Durchdringen doch immer wieder einmal unternommen werden. Man kann jedoch nicht alles wissen, auch nicht alle Korrekturen an den verbreitetsten Fehlinformationen. Man muß sie sich hier und da zusammensuchen. Das kann dann zu überraschendsten Kombinationen führen. Aber Wahrheiten haben es so an sich, daß sie eher befremden als erfreuen.
So gesehen,  ist es gut zu wissen, daß Frau Proust nun in Amerika lebt.
Oder gelebt hat? Das müßte einmal geklärt werden.


© Andreas Steffens - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2008