Es war einmal in Essen (NRW)

Ein offenes Wort

von Peter Bilsing

Peter Bilsing
Es war einmal in Essen...

Die traurige Geschichte eines erfolgreichen Intendanten


Wichtige Vorrede


Weil er so erfolgreich war, wurde er gestern überraschend entlassen. Kaum zu glauben, aber wahr. Michael Kaufmann hat in viereinhalb Jahren die Essener Philharmonie zu einem der Top-Häuser Europas gemacht. Alle Kollegen vom OPERNFREUND sind immer gerne in die Essener Philharmonie gegangen. Nicht nur wegen des perfekten Gestühls und der tollen Akustik, sondern auch und in erster Linie wegen einer Programmvielfalt, die für jeden Geschmack etwas anbot: alternative Vielfalt in hoher Qualität. Für seine anspruchsvolle Programmauswahl wurde Michael Kaufmann sogar prämiert. Jetzt scheiterte er an der kleinkrämerischen Provinzialität allzu größenwahnsinniger Essener Lokalpolitiker, die plötzlich feststellen mußten: Beides geht nicht, entweder Kulturhauptstadt des Landes 2010, oder weiterhin ein qualitativ hochwertiges Kulturprogramm in der Philharmonie. Man wählte die Kulturhauptstadt! Kaufmann mußte gehen – ein tragisches Bauernopfer. Was ist passiert? Die ganze Geschichte müssen wir, schon aus rein rechtlichen Gründen, in Form eines Märchens erzählen; es wird sich als wahres Märchen entpuppen. Wetten daß?

Ein Märchen?

Liebe Kinder! Dies ist ein Märchen für Erwachsene (und von Erwachsenen), denn es handelt von Intrigen, Lügen und Gemeinheiten, von einer spektakulären Prinzenkrönung bis hin zum Königsmord. Wobei natürlich Könige immer selber schuld sind, wenn sie ermordet werden, daß müßt Ihr wissen! Und Politiker sind immer böse und eigennützig. Nun ist unser Held, nennen wir ihn einfach „König Michael Kaufmann“ noch nicht tot, aber Rufmord kann auf glattem Eis schnell tief hinab in die nächste Gletscherspalte führen. Doch jetzt geht es los.

Es war einmal

Es war einmal eine schöne Stadt in einem Land, das hieß Nordrhein-Westfalen, und die hieß Essen. Sie hatte eigentlich alles, was ihre Bürger erfreute: Ein tolles Opernhaus, ein prima Ballett, eines der besten deutschen Schauspielhäuser und dazu sogar noch eine schöne neue prächtige Philharmonie. Damit kamen die Stadtoberen so gerade zurecht, ohne ihre Bürger allzu sehr steuerlich schröpfen zu müssen. Alle waren glücklich. Doch die Regenten wollten mehr, deshalb bewarb man sich (natürlich ohne die Bürger zu fragen) um den Rang und Ruhm der „Kulturhauptstadt 2010“ - und gewann den Wettbewerb ganz überraschend; das war leicht, denn im Gegensatz zu den Mitbewerbern hatte man wahre Wunder versprochen. Zauberer sollten kommen, die die Sterne vom Himmel holen, gigantische Feste für die Bevölkerung waren geplant und Essen, ich meine Geselchtes, Gesottenes,
sowie am Spieß gebratene Wildschweine und Getränke sollte es für alle Teilnehmer umsonst geben. Künstler aus aller Welt würden uns erfreuen. Und am Ende, quasi als Höhepunkt, sollte in einer gigantischen Operation sogar die Diva assuluta, die unerreichte Maria Callas posthum auf die Erde nach Essen zurückgeklont werden und ein Konzert geben. Wow!
Es wurden mächtige Pläne geschmiedet. Doch langsam erwachte bei den Regenten die Erkenntnis, daß Ruhm ohne Geld nichts ist. Man kann halt einen Goldbottich nur einmal leeren. Ein Loch ist im Eimer! Hilfe!

Ran an die Buletten!

Also sparen. Aber wo? Erstmal ran an die Buletten der Hochkultur. Was ein richtiger Musentempel ist, der steht auch noch auf drei Säulen, statt der obligaten zehn. Nehmt doch einmal aus Eurem Wir-bauen-einen-antiken-Tempel-Baukasten-Spiel einfach sieben der drei Säulen weg. Na? Wenn ihr nicht alle auf einer Seite entfernt habt, steht das Dach noch. Super! So sahen es auch die von den Stadtoberen beauftragten Sparminister: Hauptsache das Dach stürzt nicht ein!
Das meiste Geld verschlang das städtische Opernhaus, selbiges leitete ein vielfach gefürchteter Mann, der Onkel Stefan Soltesz, seines Zeichens Generalintendant – ein wilder Magier mit Wundergläsern auf der Nase, durch die er feurige Blicke auf seine Gegner warf; und immer hatte er seinen kleinen Zauberstab in der Hand – „Weh, weh Ihr Großkopferten! Wenn ihr bei mir sparen wollt, dann verwandle ich Euch alle in Kakerlaken und Schweine!“ Und eh er seinen Stab gehoben hatte, waren die Sparkommissare schon wie der Blitz verschwunden.

Wo also sparen?

Nun sollte das Ballett dran glauben. Aber „Schwanensee“ mit nur sechs Tänzern? Na immerhin tauschte man den alten teuren Ballettchef gegen einen preiswerteren aus. Und alle Tänzer mußten schwören, daß sie für die nächsten hundert Jahre auf jegliche Gehaltserhöhung verzichteten.
Dann kamen die Kommissare zum Grillo-Theater und stellten fest, daß die wenigen Schauspieler mehr Produktionen boten, als das personell größte Sprechtheater Deutschlands und das bei marginaler Bezahlung und einem kleinen Haus von Kinogröße. Nein hier war nichts zu holen!
Nun gingen sie auf die Straße zu den Bänkelsängern (Wir Erwachsenen sagen dazu „alternative Kulturszene“). O jeh, o jeh… traurig mußten die Sparbeauftragten feststellen, daß die ja nun überhaupt nichts aus dem Steuersäckel des städtischen Kulturministers bekommen. So gingen sie betrübt zurück zu ihren Stadtoberen und erstatteten Bericht.
Diese waren mächtig sauer, denn nun blieb als Spardose nur die gerade neu gebaute Philharmonie, aber die lebte und unterhielt das Volk prächtig und wurde vom kleinen König Michael Kaufmann geleitet, dem man deshalb gerade erst seinen Vertrag bis zum Jahr 2013 verlängert hatte. Aus gutem Grunde, denn er war so erfolgreich und hatte so vielen Essener Bürgern Freude durch ein ausgewogenes Konzertprogramm bereitet. Außerdem war er beim Volk genauso beliebt, wie bei den vielen Adeligen und Künstlern. Blöd, blöd, blöd.

Beckmesser

Man war schon bereit, die Kulturhauptstadt 2010 abzusagen, als ein Mitglied des Stadtrates, Dr. Jago (!) Beckmesser (!), eine Idee hatte: „Laßt uns doch mal in den Geschäftsbüchern der Philharmonieverwaltung buddeln, bis wir irgend etwas finden. Notfalls sollten wir vielleicht einfach etwas erfinden!“ Denn eines war klar, wie in allen anderen städtisch-bürokratischen Betrieben liefen auch die Bilanzen der Philharmonie nach dem Motto: Ausgeben, was da ist + Mehrwertsteuer. Diese 19 Prozent Dispo holen wir mit einem Nachtrags- oder Ergänzungshaushalt nächstes Jahr schon wieder rein, das hat immer geklappt; außerdem gibt es ja noch die Sponsoren.
So tauschte man zuerst einige Minister im Kulturausschuß aus (man konnte ja schlecht dieselben Leute auf König K. ansetzen, die gerade erst seine Erfolge bestätigt hatten), dann beschimpfte man ihn der Verschwendung von Steuermitteln und proklamierte ihn als uneinsichtig und arrogant, weil er die Millionen nicht binnen Tagesfrist nachzahlen könne. Als die gesetzten 24 Stunden abgelaufen waren, fehlten immer noch 1,5 Millionen Taler. So hatte den konstruierten Grund, ihm jetzt fristlos zu kündigen. Seine Mitarbeiter wurden in Sippenhaft genommen und auch gefeuert. Jetzt sitzen alle im großen Schuldenturm hoch oben am Baldeney-See.
Und jetzt können die Minister anfangen das große Geld einzusparen, damit das mit der Kulturhauptstadt 2010 doch noch was wird…..ein trauriges Märchen, fürwahr! Ihr glaubt es nicht? Ich schwöre bei Aladins Lampe, so unwahrscheinlich es klingen mag, daß es wirklich so stattgefunden hat! ­­­­­­­­­„Oder auch nicht!“ (...sagt streng der Zensor).


Eine Übernahme mit freundlicher Erlaubnis des "Opernfreund"
Redaktion: Frank Becker