Liebesdramen mit dem Sinfonieorchester Wuppertal

Toshiyuki Kamioka dirigiert Tschaikowski, Mozart und Prokofjew

von Frank Becker
Beziehungs-Weisen
 
Toshiyuki Kamioka führt sein Orchester und ein ergriffenes Publikum durch die dramatische Geschichte Romeos und Julias
 
Baiba Skride (Violine) und Linda Skride (Viola) brillieren als Gast-Solistinnen
 
Das erste Sinfoniekonzert der neuen Wuppertaler Saison war unter der ambivalenten Überschrift

Toshiyuki Kamioka
Foto © Frank Becker
„Beziehungs-Weisen“ mit zwei flankierenden Schwergewichten dem Liebesdrama „Romeo und Julia“ gewidmet, das seit Shakespeares Bühnenstück unendlich viele Konzert-, Opern-, Ballett- und Schauspiel-Fassungen erlebt hat. Zwei herausragende Kompositionen russischer Provenienz zum Thema bildeten die Eckpfeiler des Abends: Tschaikowskis Fantasie-Ouvertüre o.op. „Romeo und Julia“ aus dem Jahr 1870 und Auszüge aus den drei Ballettsuiten op. 64a, 64b und 101 von Sergej Prokofjew, die zwischen 1936 und 1946 entstanden. Dazwischen, wie von zwei akustischen Monolithen eingekesselt, stand W.A. Mozarts Sinfonia concertante Es-Dur KV 364, deren Entstehen um 1778 datiert wird.
 
Vom Glück der Musik

Pjotr Iljitsch Tschaikowskis herrliches Klanggemälde des dramatischen Stoffs, den er 1870

Pjotr I. Tschaikowski
umgesetzt und 1879/80 revidiert hatte, markierte bereits am Beginn des Abends einen Höhepunkt sinfonischer Musik - von Toshiyuki Kamioka und dem Sinfonieorchester Wuppertal mitreißend gestaltet. Ein Klassiker in russischen Konzertsälen über die Zeitläufe und politischen Verhältnisse hinweg –    hier zu hören ein Ausschnitt mit Gennadi Rozhdestvensky. Von unübertroffener Lyrik das Liebesthema, das durchaus auch akzeptable Interpretation in der „U-Musik“ gefunden hat, zu zahlreichen Filmen die Begleitmusik wurde und so musikalisches Allgemeingut über die Grenzen der Genres hinweg wurde, denken wir an Henri Mancinis oder Johnny Mathis´ populäre Interpretationen. Aber so etwas sollte ich vielleicht gar nicht erzählen, um E-Musik-Puristen nicht zu erschrecken. Von explosiver Wucht ist das Moderato assai, das noch einmal das Thema des vorausgegangenen Allegro giusto aufleuchten läßt, bevor es mit gewaltigen Tutti-Schlägen hinweggefegt wird. Ein phantastisches Erlebnis, angesichts dessen man unmittelbar die wiederkehrende Aussage von Orchestermusikern verstehen kann, die vom gemeinsamen, glücklich machenden Schaffen erzählen. 
 
Schwermut

Durchweg von Schwermut getragen, die ihren Ausdruck sowohl in den Orchester-Tutti als auch im

W.A. Mozart
Spiel der beiden international anerkannten Solistinnen an Bratsche und Geige fand, ist Wolfgang Ameadeus Mozarts Sinfonia concertante KV 364. Im Dialog und im alternierenden Solo bezauberten die Schwestern aus dem lettischen Riga in nachgerade aufregender Ruhe ihr Wuppertaler Publikum. Sie zeigten in ihrer brillanten Interpretation  - eingeschlossen in den gleichrangigen Rahmen des Orchesters - tiefes, beinahe melancholisches Einvernehmen miteinander und dem Genius des Komponisten. Das lag gewiß nicht nur an der Stradivari aus dem Jahr 1725, die Baiba Skride spielt.
Der Schlußsatz setzt ein helles, frohes Presto gegen die Schwermut – das Orchester trägt es in frischem Tempo über die 490 Takte mit. Man kann darüber streiten, ob es dem Stück gerecht wird, zwischen zwei solche „Brocken“ gestellt zu werden. Denn: nach der Pause folgten Sergej Prokofjews Ballett-Suiten op. 64.
 
Der Klang blanker Waffen

Die kamen nicht weniger gewaltig, ja noch um einiges gewaltsamer, denken wir an Thybalts Tod,

Sergej Prokofjew
eines der bekanntesten Themen aus den Ballett-Suiten, den Toshiyuki Kamioka gestisch nahezu nachvollzog, daher. Drei tänzerischen Petitessen, die im I.2 Nähe zu „Peter und der Wolf“ hören lassen, folgte ein verhaltener Marsch Andante marciale (I.5 Masken). Dann der erwähnte hochdramatische Tod Thybalts, gefolgt von zarteren, ja hauchzarten Themen zu Julia und ihrer Liebe. Nach der vorhergegangenen Wucht und vor dem gewaltigen Aufmarsch der Mantecchi und Capuleti ein anrührendes Zwischenspiel, mit ebensolcher Emphase von Toshiyuki Kamioka gestaltet wie der Klang der blanken Waffen. Vertieft man sich in die diversen Themen, schimmert durch, was Leonard Bernstein zu seiner Musik der „West Side Story“ inspiriert haben mag. Ein déja vu. – Und ein herrlicher Konzertabend zur Saisoneröffnung.
 

Das zweite Wuppertaler Sinfoniekonzert gibt es am 19. und 20. Oktober im Großen Saal der Wuppertaler Stadthalle. Informationen dazu unter: www.sinfonieorchester-wuppertal.de