Ferien!

Über die Kindheit und ihre Sommer

von Frank Becker

Foto: Rudolf Holtappel, Alte Wallstraße in Gelsenkirchen-Horst
Anfang 1960er Jahre - © 2007 asso Verlag / Ruhrlandmuseum
Essen

Ferien!


Sagen Sie mal ehrlich: War nicht Ihre Kindheit das Herrlichste überhaupt - und war nicht damals alles schöner, besser und leichter als das, was später kam? Dieses Phänomen kennen alle Generationen. Die vor uns ebenso wie die, denen jetzt mit ihren jungen Augen betrachtet die Welt gehört. Und wer erinnert sich nicht besonders gerne an die Wochen der Sommerferien der eigenen Kindheit. Als man sich noch um nichts zu sorgen hatte, Murmeln spielte, Roller fuhr, den auf Mutters Leine im leichten Sommerwind geblähten Wäschestücken zuschaute, alles um sich herum vergessen und auf dem Rücken liegend mit den Augen eine Wolkenreise machen konnte. Gräser und Käfer bargen Geheimnisse, man tat es der Eidechse gleich, die sich auf einem warmen Stein sonnte oder man fing im Teich einen Molch - wobei das Vergnügen, ihn später wieder freizulassen das des Jagdglücks bei weitem
übertraf. Es existierte keine Zeit mehr und kein Muß.
Wir waren am letzten Schultag jublend aus der Zuchtanstalt des Lebens ge(s)türmt und hatten bereits an der nächsten Straßenecke vergessen, daß es eine Schule überhaupt gab. Der Ranzen wurde zu Hause abgestellt, jeder Druck ebenso. Wir konnten das Leben, die Freiheit ohne Zwänge, ohne Pflichten genießen; und kein Fernsehapparat, kein Computer, keine Playstation und kein Mobiltelefon hinderte uns daran. Wir waren Kinder. Einfach nur Kinder. Kinder mit ganz kleinen Sehnsüchten, ganz großen Träumen und erfüllbaren Wünschen. Glückliche Zeit!   

"Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertreiben werden können"
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wird Jean Paul (Johann Paul Friedrich Richter, 1763-1825) zitiert. Dieses Paradies tragen wir in uns. Ein jeder seins. Wir werden die Ferien so nie wieder erleben, aber wir können die Erinnerung daran bewahren. Und wir können uns über die Kinder freuen, die heute vergleichbar in unserer Position von damals sind. Denn auch sie leben jetzt noch im Paradies ihrer Kindheit, einem Garten Eden, aus dem man sie schon bald vertreiben wird.

Friedrich Hölderlin beschreibt es 1797 - und gültig bis heute - in seinem "Hyperion" - im ersten Buch und dem 3. Brief an Bellarmin: "Ruhe der Kindheit! himmlische Ruhe! wie oft steh´ ich stille vor dir in liebender Betrachtung, und möchte dich denken! (...) Ja! ein glücklich Wesen ist das Kind, solang es nicht in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist. - Es ist ganz was es ist, und darum ist es so schön. Der Zwang des Gesetzes und des Schicksals betastet es nicht! im Kind ist Freiheit allein. - In ihm ist Frieden! es ist noch mit sich selber nicht zerfallen. Reichtum ist in ihm; es kennt sein Herz, die Dürftigkeit des Lebens nicht. Es ist unsterblich, denn es weiß vom Tode nichts.

Aber das können die Menschen nicht leiden. Das Göttliche muß werden, wie ihrer einer, muß erfahren, daß sie auch da sind, und eh es die Natur aus seinem Paradiese treibt, so schmeicheln und schleppen die Menschen es heraus, auf das Feld des Fluchs, daß es wie sie im Schweiße des Angesichts sich abarbeite.
Aber schön ist auch die Zeit des Erwachens, wenn man nur zur Unzeit uns nicht weckt."

In einigen deutschen Bundesländern sind die Sommerferien jetzt vorbei, die Kinder müssen sich wieder an die Schulbänke gewöhnen. Doch auch das gehört rückblickend zur goldenen Zeit der Jugend, und sie werden es irgendwann wissen. In anderen Ländern enden die Ferien erst Mitte bis Ende August. Da bleiben noch ein paar herrliche Wochen der Unbeschwertheit. Schenken Sie Ihren Kindern diese köstlichen, diese kostbaren Wochen, indem Sie sie nicht fordern. Wenn sie dann, "in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht", in etlichen Jahren
ins Paradies der Erinnerung eintauchen und zurückschauen, werden sie es Ihnen danken. Ich wünsche Ihnen allen noch einen wunderschönen Sommer!


Das Foto ist dem asso-Kalender "Blagen- Kinderjahre im Revier" 2008 entnommen
- es ist das August-Blatt.