Eine Sternen-Freundschaft

Dietrich Borchmeyer: "Nietzsche, Cosima, Wagner Porträt einer Freundschaft"

von Stefan Schmöe

Sternen-Freundschaft

„Porträt einer Freundschaft“ lautet der Untertitel des im Insel-Verlag erschienenen Bändchens Nietzsche, Cosima, Wagner von Dieter Borchmeyer. Im alltäglichen Sinn darf man das Wort „Freundschaft“ dabei nicht verstehen. Vielmehr will der Autor auf einen Freundschaftsbegriff hinaus, den Nietzsche 1882 in Die fröhliche Wissenschaft emphatisch mit „Sternen-Freundschaft“ überschrieben hat:

„Wir waren Freunde und sind uns fremd geworden. Aber das ist recht so und wir wollen's uns nicht verhehlen und verdunkeln, — als ob wir uns dessen zu schämen hätten. Wir sind zwei Schiffe, deren jedes sein Ziel und seine Bahn hat; wir können uns wohl kreuzen und ein Fest miteinander feiern, wie wir es getan haben, — und dann lagen die braven Schiffe so ruhig in Einem Hafen und in Einer Sonne, daß es scheinen mochte, sie seien schon am Ziele und hätten Ein Ziel gehabt. Aber dann trieb uns die allmächtige Gewalt unserer Aufgabe wieder auseinander, in verschiedene Meere und Sonnenstriche und vielleicht sehen wir uns nie wieder, — vielleicht auch sehen wir uns wohl, aber erkennen uns nicht wieder: die verschiedenen Meere und Sonnen haben uns verändert! Daß wir uns fremd werden müssen, ist das Gesetz über uns: eben dadurch sollen wir uns auch ehrwürdiger werden! Eben dadurch soll der Gedanke an unsere ehemalige Freundschaft heiliger werden! […]“ (Die fröhliche Wissenschaft, 279. Aphorismus)


Fremd waren sich Nietzsche und Wagner spätestens 1878 geworden, nachdem sich erste Verwerfungen im Vorfeld der ersten Bayreuther Festspiele 1876 abgezeichnet hatten. Aus dem glühenden Wagner-Verehrer Nietzsche wurde ein scharfzüngiger Spötter und Kritiker, dem zunehmend die „Wagnerianer“, also die kulthafte Verehrung (und Vermarktung) von Wagners Kunstideal suspekt wurde. Diesen Wandel zeichnet Borchmeyer nach, und an vielen Stellen zeigt er die Ambivalenz in Nietzsches Denken auf: Hinter der ätzenden Kritik sieht er auch die gleichwohl andauernde Bewunderung des Philosophen für den 31 Jahre älteren Komponisten. Borchmeyer legt den Schwerpunkt seiner Betrachtungen auf die Zeit nach dem Bruch der Freundschaft, und er stellt fast ausschließlich die Perspektive Nietzsches dar. Wagners Ansichten erscheinen bestenfalls darin gespiegelt; Cosima Wagner wird im Wesentlichen auf ihre Rolle als Vermittlerin (sie erledigte den größten Teil von Richards Korrespondenz, und ihre ausführlichen Tagebuchaufzeichnungen sind eine, wenn auch der mangelnden Objektivität wegen sehr schwierige Quelle für das Bild dieser Dreiecksbeziehung) reduziert.


Borchmeyer beruft sich in allererster Linie auf Nietzsches Schriften, danach auf den Briefwechsel, und er ist bemüht, sich mit psychologisierenden Deutungen, die über eine literarisch-wissenschaftliche Analyse hinaus gehen, zurückzuhalten. Die banalen Kränkungen und Enttäuschungen, die Nietzsche hinnehmen mußte und die sicher auch zur Machtpolitik des angehenden Familienunternehmens Wagner gehörten, blendet er weitgehend aus. Eine solche konträre Sichtweise haben andere Autoren, etwa Joachim Köhler in seiner umstrittenen Wagner-Biographie Der letzte der Titanen, eingenommen. Borchmeyers Darstellung kann man durchaus als Replik darauf lesen, zumal es einige Seitenhiebe auf „neunmalkluge Kritiker“ gibt.


Enthüllungsjournalismus jedenfalls ist seine Sache nicht, er bleibt lieber auf der philosophischen Ebene. Um eine äußerst pikante Anekdote allerdings kommt nicht herum: 1877 schrieb Wagner hinter Nietzsches Rücken an dessen Arzt Otto Eisert, um diesen (ein bekennender Wagnerianer übrigens) auf vermeintliche sexuelle Abnormitäten aufmerksam zu machen – vordergründig bezichtigt Wagner Nietzsche der Onanie (was seinerzeit als gesundheitsgefährdend eingestuft wurde), es dürfte allerdings unschwer eine unterstellte Homosexualität Nietzsches daraus herauszulesen gewesen sein. Borchert versucht nachzuweisen, daß Nietzsche zwar verärgert über diese Geschichte war, der eigentliche Grund für das Zerwürfnis aber ganz woanders liegt, nämlich in Wagners Textentwurf zum Parsifal, in dem Nietzsche in erster Linie eine Rückwendung zum Christentum und darin einen Verrat an den gemeinsamen Idealen sah – eine Beleidigung in „tödtlicher Weise“, wie Nietzsche in Briefen an verschiedene Adressaten später bemerkte.

Besagter Brief, durch (gezielte?) Indiskretionen schnell publik geworden, konnte für Nietzsche dabei durchaus existenzbedrohend gewesen sein – was Wagner, so unterstellt etwa Joachim Köhler, durchaus so kalkuliert haben könnte, um einen klugen Gegner wirkungsvoll auszuschalten. (Auch daß Nietzsche später nie mehr auf diese für ihn äußerst heikle Episode einging, ist kein sehr zwingendes Argument – warum sollte er dieses wieder in Erinnerung bringen?) Die Argumentationslinie Borchmeyers, die Beziehung zwischen Wagner und Nietzsche fast ausschließlich aus dem Gedankensystem Nietzsches herauszulesen und auf den Sockel eines geistigen Austauschs großer Geister eben im Sinne der genannten „Sternen-Freundschaft“ zu heben, ist vor diesem Hintergrund auch eine Verengung des Blickwinkels


Daß Borchmeyer als exzellenter Kenner der Materie viele kluge und anregende Gedanken äußert, versteht sich von selbst. Ein „lebendiges Porträt dieser epochalen Beziehung“, wie der Klappentext verspricht, liefert das Buch aber nur bedingt; dazu tritt zu oft der akribische Wissenschaftler hervor. Solides Wissen über Leben und Werk Richard Wagners und zumindest Grundkenntnisse zu Friedrich Nietzsche muß man schon mitbringen. Eine bei den genannten Einschränkungen lesenswerte, nicht ganz leichte Lektüre für den (Festspiel-)Urlaub.
Beispielbild


Dietrich Borchmeyer
Nietzsche, Cosima, Wagner
Porträt einer Freundschaft

insel taschenbuch 3363
223 Seiten, Broschur
Insel Verlag Frankfurt und Leipzig, 2008
ISBN 978-3-458-35063-7
€ 8,50


Weitere Informationen unter:

www.suhrkamp.de