Essener "Tartuffe" läßt die Hosen runter
Drastische Inszenierung des Moliere-Stücks über einen falschen Frömmler im Grillo-Theater als letzte Premiere der laufenden Spielzeit
Aufgebauscht und nabelfrei Die berühmte Geschichte des falschen Frömmlers, der sich im Zeichen des Kreuzes Haus, Vermögen und Frau Orgons erschleichen will, pendelt in der Inszenierung zwischen Barock und dem Jahr 2008. Bettina Engelhardt als Orgons Frau Elmire trägt einen aufgebauschten Rock mit hoher Frisur, die vorlaute Zofe geht knie-, die Tochter bauchnabelfrei und Andreas Grothgar als Tartuffe kommt kahlköpfig in vermeintlich jungfräulich-weißem Anzug und mit einem unübersehbaren Kreuz um den Hals geschlängelt. Heute wie gestern So weit Moliere, dessen Stück bei der Uraufführung 1664 sofort verboten wurde und für das ihm von religiösen Eiferern sogar der Scheiterhaufen angedroht wurde. Schade, daß der junge Regisseur, der in der kommenden Spielzeit die Leitung des Zürcher Theaters am Neumarkt übernimmt, die Komödie bis auf Sonnenbrille, hochhackige Schuhe und Espresso-Täßchen nicht auch inhaltlich auf's Hier und Heute inszeniert hat. Schließlich gibt es immer noch teils selbsternannte religiöse Führer, die es immer wieder schaffen, selbst vernünftigsten Menschen komplett den Kopf zu verdrehen. Erst, als Tartuffe mit blankem Hintern auf dem ans brillante "Dinner for one" erinnernden Tigerfell Elmire an die Wäsche geht, erkennt Orgon das wahre Gesicht des Heuchlers. Gute Unterhaltung, bei der mehr drin gewesen wäre Während bei Moliere die drohende Familienkatastrophe durch das Eingreifen des Königs im letzten Moment verhindert und der Schwindler festgenommen wird, landet Sanchez mit dem Erscheinen von Mitgliedern des Raumschiffs "Enterprise" von der Sternenbasis 205 einen zwar außerirdischen, aber auch reichlich klamottigen Schluß-Einfall für seine zweite Regiearbeit am Essener Schauspiel. Zwar bietet die letzte Premiere der zu Ende gehenden Spielzeit gute Unterhaltung, aber es gibt keine inhaltliche Auseinandersetzung. Moliere hatte mit seiner bitterbösen Satire auf die falschen Frommen zu Zeiten des Sonnenkönigs und ihre heuchlerischen Unterstützer gezielt, die damals eine Interessenkoalition bildeten und deren gesellschaftlicher Einfluß gefährlich wucherte. Und auch die Frage, womit um alles in der Welt der Biedermann an Tartuffe zu kleben scheint, bleibt in Essen unbeantwortet. |