Mit Columbus zum Niederrhein (1)

Geschichten von abenteuerlichen Mahlzeiten - Jugendlichen Lesern erzählt

von Hermann Schulz

Hermann Schulz - Foto © Frank Becker

Mit Columbus zum Niederrhein (1)

Geschichten von abenteuerlichen Mahlzeiten


Der Entdecker übersieht eine Entdeckung

Auf einer der Reisen von Columbus nach Amerika war ein Teil der Schiffsmannschaft erkrankt. Die Seeleute lebten damals nur von Mehlspeisen, Trockenfleisch und Zwieback. Die Folge war eine gefürchtete Krankheit: Skorbut - eine Mangelkrankheit-, weil frisches Gemüse und Obst in der Ernährung fehlte. Viele Matrosen litten unter Gewichtsverlust, Blutungen, Zahnausfall, Muskelschwund. Sie wurden schwach, nervös und appetitlos. Für Skorbutkranke  gab es damals keine Hilfe, sie waren dem Tod geweiht. Wenn sie starben, warf man die Leichen über Bord. Die kranken Seeleute auf dieser Reise wollten nicht den Haifischen als Nahrung dienen. Sie baten ihren Kapitän, sie auf der nächsten Insel auszusetzen, wo sie in Würde ihr Leben beenden wollten. Christopher Columbus war einverstanden; ein Boot brachte die kranke   Gruppe an das Ufer einer unbekannten Insel. Einige Monate später kam Columbus’ Schiff auf der Rückfahrt an der Insel vorbei. Am Ufer standen die Männer, kräftig und vollkommen gesund. Sie winkten, um an Bord geholt zu werden. Was war passiert?
Sie hatten sich auf der unbewohnten Insel von Blättern, Früchten, Vogeleiern und wilden Kräutern ernährt. Sie fanden frisches Wasser, Fische und Fleisch – und wurden schon nach kurzer Zeit vollkommen geheilt. Sobald wie wieder genug Vitamin C in ihrer Nahrung hatten, waren ihre Probleme beseitigt.
Die Insel heißt heute in Erinnerung an diese wunderbare Errettung Curacão (Heilung).
Ähnliche Geschichten berichten auch andere Seefahrer. So rieten die Indianer Amerikas skorbutkranken französischen Matrosen, einen Aufguß von Fichtennadeln zu trinken. Auch sie gesundeten zur großen Überraschung der Europäer.
Hätte man solchen Erfahrungen früher mehr Aufmerksamkeit geschenkt, hätten Hunderttausende von Seeleuten nicht sterben müssen. Bis der schottische Arzt Dr. James Lind (1716-1794) ein wichtiges Experiment machte: Er gab Seeleuten zur täglichen Nahrung Orangen- und Zitronensaft – und die Krankheit war besiegt. Was sie auslöste, war der Mangel an Vitaminen, vor allem frisches Vitamin C.

Der erste Kapitän, der ernst machte mit dieser Erkenntnis, war James Cook; tonnenweise lud er Sauerkraut auf seine Schiffe - und Kisten mit Zitronen. Damit hatte Skorbut ausgespielt, zu Wasser und zu Land.
Heute sind in Europa Skorbut, Beriberi (eine Vitamin-B-Mangelkrankheit, vor allem, wenn nur geschälter Reis gegessen wird) oder die schreckliche Pellagra (tritt auf, wenn Mais mit fehlendem Vitamin B die Hauptnahrung ist.), ausgestorben. Pellagra verursachte runzlige Haut, blutunterlaufene Augen, rissige Lippen und Störungen des Nervensystems. In einigen tropischen Ländern kommt sie noch vor; sie ist eine der schlimmsten Mangelkrankheiten. Es hat keinen Sinn, Pellagra-Kranke ins Krankenhaus zu bringen. Mit frischer vitaminreicher Nahrung gesunden sie in kurzer Zeit.


Ameisen süß-sauer (Ostafrika)

Heute spüren noch die Menschen einiger Völker instinktiv, was ihrem Körper fehlt. Es gibt gute Gründe, warum bei den Ureinwohnern Australiens zum Beispiel die Honigameise auf dem Speiseplan steht; sie hat ihren Namen vom süßlichen Geschmack. Meine ältere Schwester, die ihre Kindheit in Ostafrika verbracht hat, erzählte, daß sie oft bei Morgengrauen aufstand und das Haus verließ. Was sie vorhatte, durften ihre Eltern nicht wissen. Sie ging mit den afrikanischen Kindern an eine Erdspalte, aus der in der Morgendämmerung fliegende Ameisen ans Licht kamen. Die Kinder fingen sie und steckten sie sich in den Mund! Wenn unsere Eltern aufstanden, saß sie, als könnte sie kein Wässerchen trüben, am Frühstückstisch – und hatte ihr erstes Frühstück schon hinter sich. Ich habe sie gefragt, ob sie sich an den Geschmack erinnert. „Sie knacken wunderbar zwischen den Zähnen wie Krokant, sie schmecken ein bisschen süß-sauer, wie manche Speisen im China-Restaurant.“

Sind diese afrikanischen Kinder etwa unkultiviert? Ein Arzt klärte mich auf: Sie spüren, daß ihnen eiweißreiche Nahrung fehlt. Und die finden sie in den fliegenden Ameisen in der reinsten Form. Kluge Kinder! Dr. Gerd Propach, der bis vor wenigen Jahren in der gleichen Gegend in Afrika arbeitete, bestätigte mir, daß auch heute noch die Kinder am Tanganjikasee (und in anderen Teilen Afrikas) auf gleiche Weise ihre Ernährung ergänzen. Sie verzehren nicht nur Ameisen, sondern auch Frösche, Würmer und Raupen, die schon bei den Urvölkern Lateinamerikas zur Nahrung gehörten.


Ein Buch mit diesen Texten wird im August 2008 als Gemeinschaftsproduktion mit „Brot für die Welt“ im Sauerländer-Verlag (Patmos) Düsseldorf erscheinen.
Lesen Sie hier morgen den zweiten Teil

© Hermann Schulz – Vorveröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung des Autors

Weitere Informationen unter: www.patmos.de