Jankel Adler und die Avantgarde (1)

Das Von der Heydt-Museum Wuppertal zeigt eine große Retrospektive

von Antje Birthälmer und Marion Meyer

Jankel Adler und die Avantgarde
 
Chagall / Dix / Klee / Picasso
 
17. April – 12. August 2018
 
 
Eine kleine Einführung
 
Wenn am kommenden Sonntag die von Dr. Antje Birthälmer kuratierte große Jankel Adler-Ausstellung im Wuppertaler Von der Heydt-Museum mit einer Vernissage feierlich eröffnet wird, präsentiert sich dem kunstinteressierten Publikum eine einzigartige Schau, die nicht zuletzt durch den internationalen künstlerischen Kontext den nahezu vergessenen Maler (1895-1949) eindrucksvoll ins kollektive Gedächtnis zurückbringen wird. Nicht ohne Grund nennt Dr. Gerhard Finckh ihn „einen der wichtigsten Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“. Daß Wuppertal ein berufener Ort für eine solche umfangreiche Retrospektive ist, begründet sich sowohl durch Adlers Lebenszeit in Barmen (heute Wuppertal) und seine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule dort als auch dadurch, daß das Von der Heydt-Museum über einen großen Teil seines Nachlasses verfügt. 1955 veranstaltete das Wuppertaler Museum die erste große Jankel Adler-Ausstellung der Nachkriegszeit, wenn auch erst posthum.
 
Wie viele seiner jüdisch getauften Zeitgenossen, die unter der Nazi-Herrschaft nicht umgebracht worden sind, hat den 1895 im damals russischen Polen geborenen Juden seine Abkunft 1933 aus seiner deutschen Wahlheimat in die Welt getrieben. Als ein Ahasver des 20. Jahrhunderts floh Adler 1933 zunächst nach Frankreich, 1935 ins jetzt freie Polen, 1938 wieder nach Frankreich, 1940 als Mitglied der polnischen Exilarmee nach Schottland. 1943 reiste er weiter nach England, wo er über das Kriegsende hinaus blieb und 1949 43jährig starb. Während seiner Wanderungen arbeitete Adler unermüdlich weiter, knüpfte künstlerische Kontakte und sorgte für permanenten Austausch der Maler seines Umfeldes. Künstlerische Freundschaften und wechselseitige Einflüsse verbanden Adler neben vielen anderen mit Kollegen wie Marc Chagall, Otto Dix, Paul Klee, Pablo Picasso und Amadeo Modigliani – durchaus sichtbar in der Wuppertaler Ausstellung, die rund 220 Bilder versammelt, etwa die Hälfte davon von Jankel Adler, ein erstaunliches Konvolut, zusammengetragen aus Museen und Privatsammlungen Europas und der Welt. Möglich wurden die Ausstellung und der Druck des 416 Seiten starken Katalogs (der für nur 25,- € angeboten wird) durch die Unterstützung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, die Ernst von Siemens Kunststiftung, die Stadtsparkasse Wuppertal und den Kunst- und Museumsverein Wuppertal.
 
Folgen wir ab jetzt dem hervorragenden Einführungstext von Dr. Antje Birthälmer und Marion Meyer, den wir ihnen in Abschnitten heute und zu Beginn der kommenden Woche illustriert vorstellen:
 
Jankel Adlers Biografie erlebte einen jähen Bruch und steht damit beispielhaft für viele in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als polnischer Jude, der in Deutschland lebte, wurde er von den Nazis verfolgt, seine Bilder aus den Museum gerissen, zerstört oder verkauft. So ist Jankel Adlers Werk immer in ein Oeuvre „vor 1933“ und ein Oeuvre „nach 1933“ zu unterteilen, denn sein Frühwerk unterscheidet sich stark von seinen späteren Werken. Nach seiner Flucht 1933 über Paris nach Großbritannien entwickelte Adler seinen Stil weiter und kreierte ab 1941 herausragende Werke, mit dem er jüngere Künstler nach dem Krieg beeinflußte. Deutschen Boden betrat Adler nie wieder. Nach seinem frühen Tod 1949 gab es eine Ausstellung 1955 in Wuppertal. 1985 erinnerte zuletzt eine Schau in Düsseldorf an den Künstler, die auch in Lodz und Tel Aviv gezeigt wurde.


Jankel Adler, Mann mit Buch (Leser) 1921 - Foto © Frank Becker
 
„Leider ist Jankel Adler zunehmend in Vergessenheit geraten. Wir stellen in unserer Ausstellung sein Werk in Verbindung mit dem anderer Künstler, um zu zeigen, wie wichtig und besonders Adlers Schaffen ist, wie sehr er vernetzt war und den Dialog mit anderen Künstlern seiner Zeit suchte“, sagt Dr. Antje Birthälmer, stellvertretende Direktorin des Von der Heydt-Museums, die die Schau kuratiert hat. Jankel Adler sei oft als Maler der Ostjuden interpretiert worden. Die Wuppertaler Ausstellung versuche dagegen, „ihn im Kontext der westlichen Künstler zu zeigen und seine Beziehungen zu ihnen zu beleuchten“, sagt Antje Birthälmer. Die Schau verfolgt seine Entwicklung von seinen Anfängen mit den Künstlern der Barmer „Wupper“-Gruppe über sein Wirken in der „Jung Jiddisch“-Gruppe in Lodz, im „Jungen Rheinland“ und bei den „Kölner Progressiven“; sie untersucht seine Verbindung mit Klee an der Düsseldorfer Kunstakademie, mit dem Graphiker Hayter und Picasso in Paris. Sie endet mit Adlers Zeit in London und beleuchtet auch seine Rolle in der britischen Kunstszene.
 
Rund 110 Werke von Jankel Adler sind zu sehen, daneben rund 110 Werke anderer Künstler, darunter zahlreiche Weggefährten und Freunde wie Otto Dix, Marc Chagall, Paul Klee, Marek Szwarc, Pablo Picasso und Lasar Segall. Das Von der Heydt-Museum selbst besitzt fünf Werke des Künstlers, darunter das „Bildnis Else Lasker-Schülers“ von 1924, mit der er befreundet war und die ihn einmal einen „hebräischen Rembrandt“ nannte. Der Rundgang durch die elf Räume ist chronologisch und thematisch angeordnet.

 
Jankel Adler Selbstbildnis 1924 - Foto © Frank Becker
 
Raum 1 versammelt die Avantgarde vom Anfang des 20. Jahrhunderts, die bereits im Wupper-Tal Einzug gehalten hatte. Der Barmer und der Elberfelder Kunstverein waren ihrer Zeit voraus und präsentierten bereits große Ausstellungen zu den Malern des Expressionismus, wie Macke, Marc, Kandinsky und Jawlensky. Deren Werke bilden den Hintergrund, vor dem Adlers Werk sich entwickelte. Durch seine privaten Kontakte landete Adler 1912 in (Wuppertal-) Barmen und fand dort Anschluß an die Künstlerszene. Gustav Wiethüchter wurde ab 1916 sein Lehrer an der Barmer Kunstgewerbeschule, Kurt Nantke, Richard Paling, Walter Gerber und Ferdinand Röntgen waren seine Mitschüler. Sie sahen in dem gebildeten Jankel Adler, der ihnen auch die Weltliteratur nahe brachte, ein Vorbild. Das „Stillleben mit Wasserkessel“ von 1912/13 ist das früheste bekannte Werk von Jankel Adler, das dieser bereits Wiethüchter gewidmet hatte.


Jankel Adler, Das Spiel 1933 - Foto © Frank Becker
Nach dem Ersten Weltkrieg suchten viele Künstler nach einer geistigen und künstlerischen Neuorientierung. Schon 1917 lernte Adler Franz Wilhelm Seiwert in Köln kennen, der sich zu einem linksradikalen Kommunisten entwickelte. Dessen Werke zeigen die allmähliche Abkehr vom Expressionismus hin zu einem (auch politischen) Konstruktivismus. In Adlers Bild „Paar“ von 1921 sieht man kubistische Elemente aufscheinen, gemeinsam mit politischen und gesellschaftskritischen Tendenzen, die sich durch den Kontakt zu der künstlerischen Szene im Rheinland verfestigten. Künstlergruppen wie das „Junge Rheinland“ und die „Kölner Progressiven“ beeinflußten den jungen polnischen Künstler.
Schon früh erlebte Adler antisemitische Anfeindungen. Die Nazis plünderten sein Atelier in Düsseldorf. Viele Frühwerke wurden aus den Museen beschlagnahmt, von denen es heute nur noch Fotografien gibt, wie die Ausstellung belegt. Raum 2 ist der Avantgarde-Gruppe gewidmet, die Adler in Lodz mit gründete und die sich wahrscheinlich in Anlehnung an „Das Junge Rheinland“ „Jung Jiddisch“ nannte. Die Werke demonstrieren, wie die jüdischen Künstler sich einerseits klar auf die westliche Kunstwelt bezogen und andererseits ihr „Jüdisch-Sein“ lebten und in ihren Bildwelten spiegelten. In einem sprachlich emotionalen Gedicht verdeutlicht Jankel Adler, wie er die göttliche Botschaft durch seine Kunst vermitteln möchte.


Heinrich Hoerle, Mann zwischen Frau und Mutter 1920 - Foto © Frank Becker
 
In Raum 3 erhält man einen Eindruck von Adlers Beziehungen zur internationalen jüdischen Avantgarde in Berlin und Paris, deren Kontakt er aktiv suchte. Die Werke von Chagall, Modigliani, Segall, Soutine und Marek Szwarc belegen eindrucksvoll, wie diese jüdischen Künstler sich der Kunst des Westens und der Weltkunst öffneten und sich von ihr beeinflussen ließen, ohne ihre Wurzeln zu leugnen. Beispielhaft hierfür mag die ästhetisch stilisierte „Gazelle“ von Marek Szwarc sein, deren Urbilder in der alten orientalischen Kunst zu vermuten sind.


Franz Wilhelm Seiwert, Kopf 1920 - Foto © Frank Becker

Folgen Sie morgen hier weiter dem Gang durch die Ausstellung.
Informationen auch unter: http://www.jankel-adler-ausstellung.de/