Bewegende Einblicke in ein schweres Leben

Hans Fallada und seine Korrespondenzen mit seiner Frau Anna und Sohn Uli

von Frank Becker

Bewegende Einblicke
in ein schweres Leben
 
Dr. Ulrich Ditzen und sein Vater,
der Schriftstellers Hans Fallada
 
Ein weitgehend unbearbeitetes Kapitel aus dem Leben des Schriftstellers Hans Fallada (1893-1947, der eigentlich Rudolf Ditzen hieß) und gleichzeitig seines eigenen Lebens, schlug der damals in Wuppertal lebende Sohn des berühmten Autors, der Jurist Dr. Ulrich Ditzen im Mai 2001 im Else Lasker-Schüler Haus auf. Gemeinsam mit seiner Frau Bruni las er aus der Korrespondenz, die er zwischen 1940 und 1946 mit seinem Vater geführt hat. Sechs Jahre danach veröffentlichte Ulrich Ditzen unter dem Titel „Wenn du fort bist, ist alles nur halb“ im Aufbau Verlag die aufbewahrte Korrespondenz seines Vaters mit seiner Mutter Anna von 1928 bis 1946 - das tief berührende Dokument einer großen Liebe.
 
Zehnjährig wurde der Junge vom Dorf Crawitz (Uckermark), wo der Vater mit dem Honorar für den Erfolgsroman „Kleiner Mann, was nun?“ ein ländliches Anwesen gekauft hatte, auf das Joachimstal´sche Gymnasium, ein Internat in Templin geschickt. Vom Vater zum Schreiben angehalten, entwickelte sich ein fast sechs Jahre währender Briefwechsel, in dessen Verlauf etwa je 150 Briefe her wie hin gingen. Diese, wie auch die etwa 8.000 übrigen Briefe Falladas, die er akribisch archiviert hat, sind bis heute nicht erschlossen noch ediert.
So wurde die Lesung zu einem neuen, bewegenden, ja erschütternden Einblick in das zerstörte, nur wenige Jahre wirklich glücklichen Leben des genialen Autors von Romanen wie „Bauern, Bonzen und Bomben“, „Wer einmal aus dem Blechnapf frißt“ und „Der eiserne Gustav“. In „Der Trinker“ sieht Ulrich Ditzen unsentimental das tragische Selbstportrait seines Vaters, das er durch Harald Juhnke deckungsgleich wiedergegeben empfindet.
 
Die Briefe zwischen Vater und Sohn spiegeln die Zeit des Erwachens eines Kindes, in welche der Zweite Weltkrieg Leid und Entbehrung über ganz Europa brachte. Bald spüren auch die fern der Metropolen lebenden Menschen die Auswirkungen: Knappheit, Rationierung und Mangel beherrschen den Alltag, die Beschaffung eines Ventils für den Fahrradschlauch wird zur - gescheiterten - Großaktion. Ein wenig Schmalz, ein Glas Marmelade sind von unschätzbarem Wert und die Tiergeschichten von Ernest Seton-Thompson, die der Junge so gerne lesen möchte, sind nicht zu bekommen, weil der Autor aus einem „Feindland“ stammt. Das Essen im Internat wird schlechter (Quark als Hauptmahlzeit), dafür erzählen Ritterkreuzträger auf Heimaturlaub von Stuka-Einsätzen. Die Briefe zwischen Anna und Rudolf Ditzen sind ein unersetzlicher Schatz, der von Glück und Entbehrung, von Liebe und Verlust aus 20 Jahren erzählt.
 
Als 1945 Deutschland in Trümmern liegt und Fallada von den Russen zum Bürgermeister von Feldberg gemacht wird, sind seine Ehe und Familie zerbrochen. Die neue Ehe mit Ulla Losch währt nur kurz. Beide müssen zum Suchtentzug in eine Heilanstalt, während der erst 16jährige Sohn Ulrich mit der Verantwortung für den Haushalt und die Geschwister beladen ist. Fallada stirbt, nur 54-jährig, an einer Überdosis von Beruhigungsmitteln, das Ende eines Zerrissenen. Ulrich Ditzen (1930–2013) ist wenige Jahre nach seinem Wegzug aus Wuppertal in Berlin gestorben. Er ist in der Familien-Grabstätte in Carwitz beerdigt worden.