The American Dream

Amerikanischer Realismus 1945 – 2017 in Emden und Assen

von Jürgen Koller

Ausstellungsplakat mit Edward Hoppers
„Morning Sun
The American Dream
Amerikanischer Realismus 1945 – 2017
 
Eine Ausstellung – zwei Museen:
Teil eins: Drents Museum Assen - NL (Werke 1945 – 1965)
Teil zwei: Kunsthalle Emden – D ( Werke 1965 -2017)
 
Seit den großen Einwanderungswellen am Ende des 19. Jahrhunderts stehen die USA für ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Wer nur hart genug arbeite, könne alles erreichen – eine Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär. Auch für hunderttausende Deutsche, die als Zwischendeck-Passagiere die Überfahrt wagten, war das Erblicken der Freiheitsstatue in New York der Anfang vom 'American dream'. Das optimistische Wort 'the sky is the limit' – 'der Himmel ist die Grenze' galt in Wirklichkeit längst nicht für alle. Die sozialkritische amerikanische Literatur hat das in den Jahrzehnten vor dem 1. Weltkrieg, in den Zwischenkriegsjahren und auch nach dem 2. Weltkrieg in großartigen Werken beschrieben. Hier seien beispielhaft Upton Sinclairs Petroleum“ - der Machtkampf um die Ölquellen - und „Dschungel“ - die Zustände in den Chikagoer Schlachthöfen – oder das Elend der Farmer aus Oklahoma in John Steinbecks „Früchte des Zorns“ benannt. Selbst erfolgreiche Menschen der Mittelklasse konnten sich ihres Wohlstandes nicht sicher sein, wie es Sinclair Lewis in „Babbit“ schildert. Und Ernest Hemingway faßt einige seiner Short-Stories unter dem bezeichnenden Titel „Der Sieger geht leer aus“ zusammen. In seinem Roman „Die „Nackten und die Toten“ (1948) rechnet Norman Mailer kritisch mit der Führungselite der US-Army ab. Im Herz-Schmerz-Kino Hollywoods spielten all diese Themen keine Rolle, ganz anders dagegen in der realistischen bildenden Kunst Amerikas. Nach 1945 bestimmte über Jahrzehnte die abstrakte und später die konzeptionelle Kunst das amerikanische und, um einiges zeitversetzt, das europäische Kunstgeschehen. Die Abstrakten der „New York-School“ und die nachfolgenden Künstlergenerationen symbolisierten einen scheinbar entideologisierten Wiederneuanfang der bildenden Kunst. Dieser von einflußreichen „Groß-Kritikern“ medial geförderten Abstraktion steht der amerikanische Realismus gegenüber, der sich parallel in seinen verschiedenen Facetten mit beachtlicher Produktivität entwickelte. Lange Zeit vom Kunstbetrieb ignoriert, setzten sich die Realisten mit den konkreten Lebensbedingungen der Amerikaner auseinander, legten den Fokus verstärkt auf die menschliche Figur und die menschliche Existenz in den USA. Ebenso wurde und wird die jeweils aktuelle Diskussion um politisch-gesellschaftlich relevante Strömungen und Tendenzen von der realistischen amerikanischen Kunst reflektiert. Solche Themen und Sujets spielen gegenwärtig sogar wieder verstärkt eine Rolle – wie etwa die vom 45. US-Präsidenten Donald Trump forcierte Spaltung der amerikanischen Nation.


Gordon Parks - Martin Luther King-Jr., 1963

Die USA hatten seit dem verlustreichen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 nie mehr einen Krieg im eigenen Land erlebt, wenn auch die beiden Weltkriege, der Korea-Krieg, später dann der Vietnamkrieg, die beiden Irak-Kriege und das militärische Eingreifen in Afghanistan dem amerikanischen Volk einen hohen Blutzoll abverlangten. Nach 1945, ohne zerstörte Städte, ohne brachliegende Industrie-Betriebe und desolate Infrastrukturen, konnte die US-Kriegs-Wirtschaft nahtlos auf Friedenswirtschaft umgestellt werden, bei gleichzeitig weltweit höchsten Ausgaben für Rüstungszwecke. Die USA wurden zur führenden Wirtschaftsnation und politisch-militärischen Weltmacht Nummer Eins. Der 'American way of life' prägte über Jahrzehnte nicht nur die Kunst und das Lebensgefühl in den Staaten, sondern eben auch in (West)-Europa.
Mit der Ausstellung „The American Dream“ wird erstmalig in Europa eine breite Übersicht über die Strömungen des Amerikanischen Realismus gegeben. In der grenzüberschreitende Ausstellung, die zeitgleich parallel im Drents Museum Assen in den Niederlanden (1945 – 1965) und in der Kunsthalle Emden in Deutschland (1965 -2017) gezeigt wird, werden mehr als 200 Werke vorgestellt - ein faszinierender Einblick in den 'American way of life'. Als ordnendes Prinzip wurden die Themenbereiche Mensch/Figur, Stadtleben, Landschaft, Genre und Stillleben gefunden. Die Teams mit ihren Kuratorinnen in beiden Häusern sind für diese geniale Idee, den Amerikanischen Realismus in diesem Umfang zu zeigen, zu beglückwünschen. Nach monatelangem Vorlauf, in unendlich vielen Gesprächen über den 'großen Teich' hinweg mit Museen, Galerien, Privat-Sammlern und mit Besuchen vor Ort ist das fast Unmögliche gelungen, die Besitzer dieser Werke, vorwiegend aus den Städten im Osten der USA als Leihgeber zu gewinnen. Wenn auch nicht alle 'Blütenträume' reiften, so waren beispielsweise kaum Werke von Edward Hopper auszuleihen, ist doch dessen Werkkomplex ständig in den USA auf Reisen. Aber insgesamt gesehen ist das gesamte Spektrum realistischer amerikanischer Kunst mit gewichtigen Werken der bekanntesten Künstler in Assen und Emden präsent. Nur mit Unterstützung eines anerkannten amerikanischen Kunstexperten, der als 'Türöffner' bei den Leihgebern fungierte, konnte das Unternehmen gelingen. Auch die logistischen Herausforderungen des Transports der Werke nach Europa waren immens. Es ist unbedingt darauf zu verweisen, daß erst die eingeworbenen Gelder von großzügigen Sponsoren in Assen und in Emden diesen Ausstellungserfolg möglich machten.


Richard Estes - View of the W-Train, 2003

Die USA in ihrer schier unendlichen Größe zwischen den riesigen Ballungszentren an der atlantischen Ostküste, dem mittleren Westen, dem pazifischen Westen und dem Süden haben eine konservative Kultur hervorgebracht, die letztlich in der ländlichen bzw. landwirtschaftlichen Vergangenheit verwurzelt ist. Die Amerikaner der nordöstlichen Küste in den Großstädten sind offen liberal eingestellt, schätzen qualifizierte Bildung sowie die Künste und sind geeint im Streben nach sozialer Sicherheit. Die Westküstenbewohner dagegen verströmen eine entspannt-lässige, jugendorientierte, auf Freiheit bedachte Kultur. Die Hippiegeneration der 1960er Jahre, aber besonders die jungen Macher, die Start-up-Gründer von Silicon Valley, sehen Innovation im weitestgehenden Sinne als ihre Kultur an, die nicht von europäischen Traditionen geprägt ist. Anders dagegen die Menschen des mittleren Westens, geformt von harter Arbeit, mit persönlichen Errungenschaften und Eigentum, religiöse und familiäre Werte achtend - sie sehen sich als „Mittelklassebürger des amerikanischen Kerns“. Aus der Geschichte des Südens, einst geprägt von der Sklaverei, hat sich eine ganz andere kulturelle Erfahrung abgeleitet: die der Afroamerikaner. Im Süden, wo die Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre zuerst ihre Basis fand, hat speziell die Fotografie diese harten Kämpfe um Gleichberechtigung und Menschenwürde dokumentiert. Fotos von Gordon Parks, wie „Martin Luther King jr., Washington, D.C. 1963“, visualisieren diese Zeit.
 
Aus der Fülle der in Emden präsentierten Werke sollen hier noch einige wenige genannt werden, die die thematischen Ausstellungsabschnitte sinnreich verdeutlichen. In den Stadtbildern wird das alltägliche urbane Leben in seiner ganz kulturellen Vielfalt reflektiert. So malte Richard Estes eine Szene aus der New Yorker Hochbahn bei der Fahrt über die Manhattan Bridge, das zerkratze Zugfenster macht das Bild authentisch. Aber auch Einsamkeit, Isolation und Anonymität finden sich in Bildern des modernen Stadtlebens – Edward Hoppers „Morgensonne“ ist dafür ein Beleg. Die Kriminalität in den Städten spielt in der Fotografie eine wichtige Rolle. Menschliche Spuren sind für Bilder der amerikanischen Landschaft bestimmend, dagegen findet sich kaum unberührte Natur: Häuser, Straßen, Schienen, verrottete Tankstellen, Werbeplakate oder Farmschuppen, so auch in Rackstraw Downs „Farm Buildings...“ von 2008. Im Genre-Bild finden sich häufig reisende Menschen, einsame Männer und Frauen in Hotelzimmern, Motels und Restaurants - Wartende, die über das moderne amerikanische Leben sinnieren. Pop Art und der Foto-Realismus dagegen wenden sich dem scheinbar Banalen zu. Bildgegenstände sind oftmals tagtäglich genutzte Dinge, die durch eine werbeträchtige Symbolik Kultstatus erhalten haben. Die Künstler zeigen sie mit ironischem Blick – bei Andy Warhol sind es Suppendosen, bei Ralph Goings “A1 Sauce“ ist es ein Arrangement diverser Saucen-Flaschen in blitzendem Foto-Realismus.


Ralph Goings - A1 Sauce, 1995 

Der erste Ausstellungssaal der Kunsthalle verweist thematisch auf die Ausstellung im Drents Museum Assen und stimmt so die Besucher auf die Gesamtschau in beiden Häusern ein. Im Zentrum der Emdener Ausstellung werden im sogenannten „Discovery Diner“ historische, politische und soziale Ereignisse, die seit 1945 für die USA (- und die Welt) maßgeblich waren, ergänzend den Besuchern vermittelt. Beide Ausstellungen geben in den vorgenannten Zeiträumen jeweils einen ausführlichen Überblick. Einen Gesamteindruck des Amerikanischen Realismus seit 1945 gibt jedoch allein der Besuch beider Ausstellungsorte.

 
Rackstraw Downs - Farm Buildings, 2008

Allgemeine Informationen
Ausstellung THE AMERICAN DREAM / Amerikanischer Realismus 1945 -2017
Teil 1: Drents Museum Assen, NL, 1945 - 1965
Teil 2: Kunsthalle Emden, D, 1965 - 2017
Ausstellungsdauer: 19. November 2017 – 27. Mai 2018
 
Drents Museum, Brink 1, Assen - T. +31(0) 592 377 773
 
Kunsthalle Emden, Hinter dem Rahmen 13 - T: +49(0) 49 21 97 50 50
 
Ausstellungskatalog
The American Dream. Amerikanischer Realismus 1945-2017. Hrsg.: Katharina Henkel, Antje-Britt Mählmann (D), Annemiek Rens, Harry Tupan (NL). Mit Texten von Tim Jelfs, Dana Miller, Peter Trippi u.a.. 204 Seiten, ca. 200 farbige Abb., Verlag WBOOKS Zwolle, Hardcover, deutsche und niederländische Ausgabe, Preis an der Museumskasse 25,- €.
 
Bildlegenden:
• Edward Hopper, Morning Sun, 1952, Öl auf Leinewand, Columbus Museum of Art,Ohio. Museum Purchase, Howald Fund
Gordon Parks, Martin Luther King, Jr.,Washington, D.C., 1963, s/w-Fotografie, © Courtesy of The Gordon Parks Foundation
Richard Estes, View of the W Train crossing the Manhattan Bridge, 2003, Öl auf Karton, © Richard Estes, Courtesy Marlborough Gallery, New York. Bridges 
  Foundation, Greenwich, CT, USA
Ralph Goings, A 1 Sauce, 1995, Öl auf Leinwand. Seven Bridges Foundation, Greenwich, CT, USA, © Courtesy The Estate of Ralph Going
Rackstraw Downs, Farm Buildings near the Rio Grande: South Side of the Baern, A.M., 2008, Öl auf Leinwand. Louis-Dreyfus Family Collection © Rackstraw 
  Downs, Courtesy of The William Louis-Dreyfus Foundation Inc.
 
Redaktion: Frank Becker