Zwiespältiges Bedauern

Petra Cnyrim – „Das Buch der leider vergessenen Wörter“

von Frank Becker

Zwiespältiges Bedauern
 
Das Buch der leider vergessenen Wörter
 
Sprache lebt, sie verändert sich, angepaßt an die gesellschaftlichen Entwicklungen. Das muß so sein, weil unter dem Aspekt der Sprachskepsis das Neue oftmals nicht mehr mit der hergebrachten Sprache ausgedrückt und beschrieben werden kann. Das kann, so notwendig es sein mag, jedoch nicht immer als schön empfunden werden, zumal allzu viele Wendungen,  Formulierungen, Begriffe mehr und mehr aus der Vulgärsprache bzw. dem abgekürzten Vokabular der SMS/Whatsapp-„Sprache“ ind den täglichen Sprachgebrauch vor allem junger Menschen einsickern. Hinzu kommt – und das ist das Thema des Buches von Petra Cnyrim, das ich Ihnen heute vorstelle – daß eingeführte bzw. hergebrachte Worte und Begriffe durch die besagten sprachlichen und gesellschaftlichen Verschiebungen und Veränderungen „unter den Tisch fallen“. Entweder werden sie durch neue Begriffe ersetzt, oder sie gehen verloren, weil der Gegenstand, den sie umreißen, schlicht und einfach nicht mehr existiert, benutzt, gebraucht wird.

Blättert man Petra Cnyrims Buch durch, stößt man als Älterer auf viele wohlvertraute Worte, die tatsächlich dem Wechsel der Zeit geschuldet so langsam verloren gehen, so sehr sie auch bei vielen noch präsent sind. Da wäre der Peterwagen, der Name für Polizei-Streifenwagen, der sich aus Hamburg kommend deutschlandweit eingebürgert hatte. Na, vielleicht nicht in München… Das Schabefleisch aber können Sie in Berliner Fleischereien aber bestimmt noch bekommen. Dieser Begriff war schon immer regional geprägt – in Nordrhein-Westfalen dürfte man damit schon immer Schwierigkeiten gehabt haben. Anders bei der Lohntüte: Wer erinnert sich nicht an die familienfeindliche Barauszahlung des Wochenlohns am Freitagabend und den folgenden „Ball“, bei dem der Vater oft den Lohn versoff und die Familie das Nachsehen hatte. Ein interessantes Wort, das schon der Arbeitsgeschichte wegen nicht vergessen sein darf. Der Broiler wird wie das Gabelfrühstück hoffentlich nie verschwinden, denn 40 Jahre DDR-Sprache haben das gegrillte Hähnchen zum Sprachklassiker werden lassen, der in den östlichen Bundesländern sicher weiter gepflegt wird. Daß die Flüstertüte vergessen sei, halte ich übrigens ebenso für ein fahrlässiges Gerücht wie das angebliche Verschwinden des Mauerblümchens. Es gäbe da noch einiges Diskutierwürdige.

Kommen wir nun zu einigen Beispielen aus dem Buch der „leider“ vergessenen Wörter, bei deren Betrachtung sich dem Kritiker schier die Feder stäubt. Ich halte es schon für ziemlich verirrt, Bedauern darüber zu äußern, daß so fürchterliche Worte wie Hindenburglicht und Mutterkreuz vergessen worden seien. Wir sollten froh und glücklich darüber sein – oder sehnt sich die Autorin nach dieser gesellschaftlich wie sprachlich unseligen Zeit zurück? Bedauert sie vielleicht gar auch den verlorenen Blockwart und den Gauleiter? Auch die möchte ich nicht in die Alltagssprache zurückholen. Leuten wie Herrn Gauland wird der Gedanke gefallen, vielgebärenden deutschen Frauen – vielleicht im Erntemond - wieder ein „Motterkrrreuz“ an die Brust heften zu können. Mir nicht. Also bitte, schnell vergessen.
Alles in allem – es gäbe noch etliche Beispiele - wirkt „Das Buch der leider vergessenen Wörter“ mit seiner beliebigen Auswahl wie ein Schnellschuß, mit dem man sich an den Erfolg des Vorgängers „Das Buch der fast vergessenen Wörter“ anhängen möchte. Das ist nur mäßig gelungen.
 
Petra Cnyrim – „Das Buch der leider vergessenen Wörter“
© 2017 riva Verlag, 224 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-7423-0370-7
14,99 €
Weitere Informationen: www.rivaverlag.de