Von Windeln verweht

Eine Frieda-Geschichte

von Hanns Dieter Hüsch

© 1961 Sanssouci Verlag - Umschlag: Robert Wyss
Von Windeln verweht
 
Das war vor zehn Jahren, als wir nur ein großes Zimmer hatten und die Frieda sagte, wenn wir daraus zwei Zimmer machen, dann haben wir eine Zimmerflucht.
Aber, sagte ich, du bist keine Prinzessin und ich kein Maharadscha, also lassen wir das mit der Zimmerflucht. - In diesem großen einen Zimmer standen zwei Messingbetten, die waren geliehen, ein Herd, der war alt gekauft, und ein Kind, das war nicht alt gekauft. Das Kind lag in einem Korb, der uns geschenkt worden war. Dann war da noch ein Kinderwagen, auch geschenkt, den strich ich frisch an und die Frieda sagte: Wie neu. Das einzige, was wir selbst erstanden hatten, war das Kind -, waren zwei Teller, zwei Tassen, zwei Messer, zwei Gabeln und zwei Löffel sowie ein Lautsprecher, mit dem wir mittels eines Drahtes durch die Wand Radio hörten, wenn unser Hauswirt Radio hörte, und wenn der Radio hörte, dann nur Operetten. Wir hörten sehr wenig Radio.
Dann hatten wir noch eine Leine von links nach quer und von schräg nach rechts gespannt, durch das ganze Zimmer, und an dieser Leine hingen Windeln, von morgens früh bis abends spät. Und sogar in der Nacht.
Wir hatten also, wenn man es genau überlegt: Ein Kinderzimmer, ein Herrenzimmer, eine Küche, ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, einen Rauchsalon und ein Musikzimmer. Und jedes Jahr kam ein Stück hinzu, eine Wurstschneidemaschine, ein Bräter, einmal zwei Küchenmesser, ein Waschkessel, bis nichts mehr in das Zimmer reinging und wir ausziehen mußten.
Dann bekamen wir zwei Zimmer, eines Tages drei, und jetzt haben wir vier Zimmer und einen Flur und ein Bad, keine Messingbetten mehr, keinen altgekauften Herd, keinen geliehenen Tisch, keine Operette durch die Wand und keine Windeln mehr.
Wenn uns damals das Leben zu dumm wurde, spielten wir abends „Mensch, ärgere dich nicht“ oder gingen einmal in der Woche in einen Nachtfilm mit Humphrey Bogart.
Wenn uns heute das Leben zu dumm wird, sagt die große Frieda zur kleinen Frieda: Als du noch ganz klein warst und aussahst wie ein Igelchen, da hatten wir ein großes Zimmer, und das war immer „Von Windeln verweht“, und manchmal haben wir gedacht, du würdest nie lernen, wie man ißt und später, wie man spricht, und jetzt ißt du uns die Haare vom Kopf und redest uns alles nach. Dann sage ich: Kommt, wir spielen nochmal „Mensch, ärgere dich nicht!“
Dann würfeln wir, und wer gewinnt ist Kaiser, der zweite König und der dritte Bettelmann.
Manchmal wird die Frieda Bettelmann, pardon, Bettelfrau, manchmal werde ich Bettelmann.
Und es ist komisch, die kleine Frieda wird immer Kaiserin, aber sie weiß noch nicht genau, was das ist.
Und ich Wünsche mir, daß sie es auch in zehn Jahren noch nicht weiß.
 


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung
in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung.
Die Illustration zeigt die Erstausgabe der Neuen Frieda-Geschichten im Sanssouci Verlag.