Beckfelds Briefe

An Stan Libuda

von Hermann Beckfeld

Hermann Beckfeld - Foto © Dieter Menne
Er war einer der besten Fußballer, die wir je hatten. Ein Dribbelkönig, ein Alleinunterhalter, ein Sonderling. Reinhard Libuda dribbelte sich in unsere Herzen, zauberte für Königsblau und Schwarzgelb. Ein großer Schweiger, der den Ball sprechen ließ.
 
Lieber Stan,

auf dem Weg zur Redaktion bin ich heute auf dem Emscherschnellweg an der Glückauf-Kampfbahn vorbeigefahren. Spontan mußte ich an bessere Schalker Zeiten, mußte ich an Dich denken. Hier hast Du Deine Gegenspieler schwindelig gespielt, bis auf die Knochen blamiert; mehr als 40 Jahre später habe ich die Anfeuerungsrufe der Schalker Fans noch im Ohr, die enthusiastisch immer wieder diese drei Silben herausbrüllten: „Li-bu-da, Li-bu-da.“ Und plötzlich flogen meine Gedanken zum Schlagerspiel der Bundesliga an diesem Samstag. Der BVB, der uns in dieser Saison begeistert, empfängt die Münchner Bayern.
Ach, es ist nur ein Fußball-Traum, aber ich werde ihn Dir erzählen: Was meinst Du, was im Signal Iduna Park, der zu Deinen Glanzzeiten Westfalenstadion hieß, los wäre, wenn Du mit der Nummer sieben auf dem schwarz-gelben Trikot die erfolgsverwöhnten Stars des Titelfavoriten naßmachen würdest; ja, genauso wie früher: links antäuschen, rechts vorbeidribbeln, Flanke, Tor! 70 000 Borussen würden Deinen Namen skandieren wie einst nur auf Schalke.
Auf dem Platz, da warst Du ein ganz Großer, ein genialer Instinktfußballer. Du warst der Garrincha vom Schalker Markt, der vielleicht beste Rechtsaußen, den wir je hatten; der eigenwilligste sowieso. Ein Plankengott, ein Dribbelkönig, dem die Kugel am Fuß klebte. „An Gott kommt keiner vorbei“ stand auf einer Litfaßsäule. „Außer Libuda“ kritzelte ein Fan unter den Spruch.
Du warst ein Alleinunterhalter, der es so häufig mit den Tricks übertrieb, der den Ball gar nicht mehr abgeben wollte - weil Du wußtest, daß ohne Ball Dein Zauber vorbei war; daß diesen Momenten des Glücks der triste, frustrierende Alltag folgte, daß aus dem verehrten Stan Wieder der schüchterne, sensible, oft hilflose und überforderte Reinhard wurde und aus dem umjubelten Star der Schweiger, der nur eines wollte: seine Ruhe haben. Ich will nicht die Legende vom ewigen Verlierer kultivieren, aber es lief vieles schief in Deinem Leben ohne Ball; die abgebrochene Lehre als Maschinenschlosser, Scheidung, Schulden, Führerscheinentzug, Bestechungsskandal, miese Jobs, um sich über Wasser zu halten, der gescheiterte Versuch als Unternehmer. Der Tabakladen, den Du von Ernst Kuzorra übernommen hattest, war nicht Deine Welt.
Was Du wirklich beherrscht hast, war die Täuschung. Auf dem Platz wie der legendäre englische Rechtsaußen Stanley Matthews, dem Du den Spitznamen Stan verdankst, weil Du wie kein Zweiter dessen Tricks beherrscht hast. Im wahren Leben hast Du allen erzählt, wie wohl Du Dich als Fachmann für Druckmaschinen fühlest. In Wirklichkeit mußtest Du in der Druckerei Papierrollen wuchten und Ölflecken vom Hallenboden schrubben.
Wie passend: Ausgerechnet Dein wichtigster Treffer, die Bogenlampe zum 2:1-Sieg der Borussen 1966 im Europapokal, halten viele für ein Eigentor, weil letztendlich der Liverpooler Verteidiger Ron Yeats den Ball ins Netz bugsierte. Das beste Spiel Deines Lebens hast Du bei der WM 1970 gegen Bulgarien gemacht. Deren Trainer sagte nach der 2:5-Niederlage: „Diesen Mann kannst Du nur mit der Flinte erlegen.“ Ein Tor hast Du selbst erzielt, zwei Vorlagen gegeben, einen Elfmeter herausgeholt. Was mir auffiel: Als Du verletzt im Strafraum lagst, hat sich anfangs kein Mitspieler um Dich gekümmert.
 
 
Lieber Stan,
auch wenn es Dich da oben traurig stimmt. Ich muß Dir noch beichten, daß sie auf Deinem Grabstein den Vornamen falsch geschrieben hatten, statt mit „ei“ mit „ai“. Und als Dein Sarg in die Tiefe glitt, bestand die Kirche wie so oft aufs letzte Wort; da sagte der Pfarrer: „An Gott kommt eben doch keiner vorbei.“
 
(05.03.2016)
 
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.
„Beckfelds Briefe“ gibt es auch in Buchform 

Redaktion: Frank Becker