Eine kleine Philosophie des Tötens

Jack London – „Mord auf Bestellung“

von Frank Becker

„Sie zahlen, wir morden.“
 
Eine kleine Philosophie des Tötens
 
Der undurchsichtige Kaufmann Ivan Dragomiloff al. Sergius Constantine hat mit Akribie über Jahre in New York eine nun reibungslos arbeitende Attentats-Agentur aufgebaut, die nach sorgfältiger sachlicher und ethischer Prüfung zu festen Tarifen im Auftrag Interessierter Menschen umbringt, die der Gesellschaft Schaden zufügen, selber Verbrecher oder Nutznießer sind. Dragomiloff und seine in einem dichten Netz über die USA verteilten hoch gebildeten und effektiven Agenten verstehen sich als ausgleichende Gerechtigkeit jenseits der Justiz, beanspruchen für sich und ihre Taten eine höhere Moral. „Sie zahlen, wir morden!“ ist die Devise dieser Attentatsagentur. Einzige Bedingung: Die Liquidation des Opfers muß sozial nützlich und „legitim“ sein.
Durch eine Vielzahl von unaufgeklärten Todesfällen alarmiert, forscht der reiche Winter Hall nach den wahren Ursachen, stößt auf die Organisation, verschafft sich die nötigen Kontakte und tritt als Auftraggeber für einen weiteren Mord auf. Sein Plan ist, die Agentur zu zerschlagen, wozu er einen Schachzug macht, der eines Meisters würdig ist: Er beauftragt Dragomiloff für 50.000 $ mit dem Mord – an Dragomiloff.

Hier nun beginnt das eigentliche Anliegen Londons, durch die Protagonisten eine Diskussion über Ethik, Moral und Verantwortung loszutreten. Das ist zum einen philosophisch recht anspruchsvoll, angesichts des Wahnsinns, der im Gedanken der Mord-Agentur liegt, natürlich der blanke Hirnriß. Welche Mordtaten darf ein Mensch im Namen einer höheren Moral begehen? Welcher Zweck heiligt welche Mittel? Und wichtig: Wer ist die Instanz, die das Töten erlaubt? Allein die Fragestellung führt dazu, daß die endlosen gelehrten Diskussionen der Mörder untereinander und die zwischen Hall und Dragomiloff sich bis zum zwangsläufigen Ende ergebnislos im Kreise drehen.
Innerhalb eines Jahres muß die Agentur nun den Mord an ihrem Boss ausführen, danach erlischt der Auftrag. Eine hektische Jagd durch die USA beginnt, der fast sämtliche Agenten durch die Hand Dragomiloffs, der sich natürlich verteidigen darf, zum Opfer fallen. Die komplizierten Planungen, die ständigen Ortswechsel per Bahn (man bedenke: 1910), der umfangreiche verschlüsselte Telegramm-Austausch während der Hatz, Agententreffen an diversen Orten, Schiffspassagen u.v.a.m. sprengen den Rahmen dieses Jahres, in dem die Handlung angelegt ist, machen es – auch für einen spannenden Agenten-Thriller – allzu phantastisch, schlicht irreal. Von der kruden Philosophie wollen wir hier gar nicht mehr reden.
Daß London auch noch eine verzwickte Liebesgeschichte in die ohnehin völlig verrückte Handlung einwebt – Winter Hall liebt Grunya Constantine (und sie ihn), ohne zu wissen, daß sie Dragomiloffs Tochter ist (sie weiß es auch nicht, hält ihn für ihren Onkel) – macht die Sache nicht verdaulicher.

Robert L. Fish hat den von Jack London nicht mehr vollendeten Roman nach dessen Notizen 1910 zu Ende geschrieben. Freddy Langer analysiert in einem eloquenten Nachwort das Projekt, dessen geistiger Vater eigentlich ja Sinclair Lewis war, dem Jack London die Idee abkaufte. Offen gesagt: Das Buch ist unbeachtet seiner brillanten Sprache völlig aus der Zeit gefallen. Man muß nicht notwendig alles Verstaubte der Literaturgeschichte wieder ausgraben. Manches ist zu Recht vergessen.
 
Jack London – „Mord auf Bestellung“
Aus dem amerikanischen Englisch von Eike Schönfeld
© 2016 Manesse Verlag, 242 Seiten, gebunden, Leinen mit Schutzumschlag, Lesebändchen - ISBN: 978-3-7175-2426-7
24,95 € [D] / 25,70 € [A] | / 32,50 sFr

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