Beckfelds Briefe

An Jürgen Vogel

von Hermann Beckfeld

Hermann Beckfeld - Foto © Dieter Menne
In den Kinos läuft der Film „Gnade“ mit Jürgen Vogel an, dessen Karriere als Schauspieler mit „Kleine Haie“ begann. Da spielte Jürgen Vögel eine ehrliche Haut, den schüchternen Tellerwäscher Ingo Hermann. Und auch ein bißchen sich selbst.
 
Lieber Jürgen Vogel,
 
Sie sind der Mann für schräge Rollen, für beschädigte Figuren. Sie spielen Dealer, Gangster, Autoschieber, Prolls, Malocher und Killer mit Todessehnsucht. In Ihrem neuen Film „Gnade“ stapfen sie als brummbäriger, schweigsamer Mann, mehr Maschine als Mensch, durch die nordnorwegische Schneelandschaft, in der es im Winter nicht hell wird. Doch egal, welche Rolle Sie noch annehmen, „auf die ich Bock habe oder weil ich extrem dringend Geld brauche“: Für mich werden Sie immer der kleine Hai bleiben, der Tellerwäscher Ingo Hermann, der in der Folkwang-Hochschule eigentlich nur einen Stuhl abgeben möchte und ungewollt und schüchtern in die Aufnahmeprüfung zum Schauspielstudium gerät. Es ist die Rolle Ihres Lebens. Sie spielen sich selbst. Mit „Kleine Haie“, immer noch Kult und mein Lieblingsfilm, begann vor 20 Jahren Ihre Karriere.
Nicht nur auf der Leinwand fahren Sie zur Schauspielschule nach München, hauen aber nach nur einem Tag in den Sack und ziehen nach Berlin. Dort leben Sie immer noch, im Bezirk Prenzlauer Berg, und machen, wie Sie sagen, „ganz normale Sachen“: essen, Sport, mit den Kindern auf den Spielplatz gehen.
In „Kleine Haie“ begegnen Sie zwei Typen, die wir aus dem Showgeschäft kennen. Einmal dem, der nie die Rolle seines Lebens findet, dem Ewig-Zweifelnden. Und dann dem von sich Total-Überzeugten, der für den roten Teppich geboren wurde. Sie werden für keine Kamera der Welt ein gekünsteltes Lächeln aufsetzen, Sie sind ehrlich, unangepasst, bestimmt nicht einfach, aber kein Revoluzzer. Sie sagen Sätze, die Sie sich vorher nicht ausdenken, die mir gefallen. Sätze wie „Jeder Mensch ist einsam“ oder „Ein echter Kerl muß den Mumm haben, Gefühle zu zeigen“.
 
Lieber Jürgen Vogel,
Sie sind ein Vorort-Rebell, ein Schmuddelkind und ein Kerl, den die Frauen trotz der schäbigen Zähne lieben. Ich mag Sie Wegen Ihres schiefen Grinsens, Ihres nachdenklichen Humors, Ihrer noch nicht gelüfteten Geheimnisse, Ihrer Unvollkommenheit. Sie werden immer ein bißchen mein Tellerwäscher Ingo Hermann bleiben.
 
(10.11.2012)
 
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.

Redaktion: Frank Becker