Dohnanyi und Brahms zum Saisonabschluß

Das 10. Sinfoniekonzert in der 154. Saison des Sinfonieorchesters Wuppertal

von Johannes Vesper

Sofja Gülbadamova - Foto © Marius Doltu

Dohnanyi und Brahms zum Saisonabschluß

Das 10. Sinfoniekonzert in der 154. Saison
des Sinfonieorchesters Wuppertal

Von Johannes Vesper
 
Ernst von Dohnanyi (1877-1960) bildet mit Bartok und Kodaly das Dreigestirn ungarischer Musik in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Geboren wurde er im heutigen Bratislava, startete seine internationale Karriere als Starpianist, bevor er von Joseph Joachim an die Berliner Musikhochschule berufen wurde. Nach Beginn des 1. Weltkriegs ging er zurück nach Ungarn und unterrichtete Klavier an der Budapester Musikakademie, wurde Chefdirigent der Philharmonischen Gesellschaft. Unter der deutschen Okkupation wurde er gezwungen, sein Orchester aufzulösen. 1944 verlor er zwei seiner Söhne, die wegen ihrer Beteiligung an dem mißlungenen Attentat auf Hitler hingerichtet wurden. 1944 floh Dohnanyi, inzwischen beschimpft als Verräter Ungarns, vor der sowjetischen Besatzung nach Österreich. Von 1949 an unterrichtete er an der Universität von Tallahassee (Florida). Kompositorisch wurde der junge Dohnanyi noch stark von Johannes Brahms beeinflußt. In den Konzertprogrammen ist er nur gelegentlich zu hören. Anders in Wuppertal. Erst letzte Woche gab es hier ein Kammerkonzert mit Dohnanyi, Brahms und mit Sofja Gülbadamova als Solistin des Konzertes. Sie war schon 2015 zu Dohnanyis 55. Todestag in der Stadthalle mit Klavierstücken von ihm zu hören. Sie liebt diesen Komponisten sehr, was auch ihr kenntnisreicher und engagierter Text im Programm widerspiegelt.
 
Das 10. Sinfoniekonzert wurde mit seinen sinfonischen Minuten von 1933 eröffnet, fünf kurze Stücke  ganz im Stile der Spätromantik. Einem Sommernachtstraum, flinken Arpeggien und viel Chromatik folgten elegisches Adagio mit herrlichem Klarinettensolo und ein derber Blechwalzer. Bevor sich der Zuhörer an die sentimentale Oboe d`amore und die Solovioline völlig verlor, tobte zuletzt ein affenartig geschwindes Volksfest durch den Saal. Vorweggenommene Filmmusik? Jedenfalls keine Kurzfassung einer Sinfonie. Unzeitgemäße, eingängige, herrliche Musik von großer Leichtigkeit trotz Riesenbesetzung (14 erste Geigen), der größten des heutigen Abends.
Dann spielte die junge Sofja Gülbadamova bravourös das hochvirtuose 2. Klavierkonzert Nr. 2 h-Moll von 1946/47, welches Dohnanyi 50 Jahre nach seinem 1. Klavierkonzert geschrieben hat. Diese stupende Klaviertechnik, solch rasanten Tonfolgen, phantastische Fortissimi im Wechsel mit zartestem Pianissimo, solch ausdrucksvolles Saitenspiele lassen sich nur auf einem modernen Klavier mit Eisenrahmen und Repetitionsmechanik darstellen. Auf einem Hammerklavier ginge das nicht. Dabei blieb die Musiksprache auch dieses Konzertes die der Spätromantik. Musikalisch und technisch präsentierte sich Sofja Gülbadamova zum ungeteilten Vergnügen des begeisterten Publikums als Weltklassepianistin. Bei diesem, die Krisen des 20. Jahrhunderts aussparenden, eher konservativen Klavierkonzert konnte man den gewaltigen Eindruck, den der Starpianist Dohnanyi auf das Publikum seiner Zeit ausgeübt hatte, schon erahnen. In Wuppertal hätte er es aber gegen die nobel, furios und fulminant aufspielende Sofja Gülbadamova schwer gehabt. Für die stehenden Ovationen und Bravi bedankte sich die Pianistin mit dem seelenvollen, eher stillen 7. Zigeunerlied (Klavierbearbeitung von Theodor Kirchner) von Johannes Brahms, eine wunderbare Überleitung zum 2. Teil des Abends.
 
Für den Kritiker ist es nicht einfach, über Brahms zu schreiben, liebte dieser Musikkritiker doch überhaupt nicht und mochte selbst auch seine Musik gar nicht erläutern. Dabei war er einer der einflußreichsten Komponisten des 19. Jahrhunderts, wurde von Robert Schumann in die Musikwelt eingeführt, wurde Ehrendoktor (Cambridge und Breslau) und verehrt von seinen „Brahminen“ , die mit den Wagnerianern über Sinn und Ästhetik der Musik ihrer Zeit stritten. Brahms gilt als Vorläufer der modernen Musik. Schönberg hielt seine Kompositionsschüler an, die Brahms-Partituren zu studieren (Alban Berg, Webern u.a.). Seine 3. Sinfonie komponierte er im Sommer 1883 in Wiesbaden. Eigentlich ging es ihm dort ganz gut: wohnend in einer Villa, umgeben von Freunden und der wunderbaren, damals 36 Jahre alten Altistin Hermine Spies. Sie war ihm sehr zugetan, sang seine Lieder nach ihren eigenen Briefen auch nicht schlechter als andere und nannte ihn stets ihre „Johannespassion“. Er blieb aber lieber frei und einsam, litt unter seiner Ehelosigkeit und wird zitiert: „Ach, ich armer unverheirateter Mensch.“. War Brahms depressiv? Seinem Freunde, dem Geiger Josef Joachim schrieb er zur Geburt des Sohnes: Das Beste kann man ja nicht mehr wünschen - nicht geboren werden.
Immerhin zur 3. Sinfonie hat es in Wiesbaden gereicht. Dort entstand sie, dort war sie erstmalig zu hören. Das Wiesbadener Kurorchester wurde eigens für die Uraufführung unter der Leitung des Komponisten am 18. Januar 1884 auf 60 Musiker verstärkt. Clara Schumann, die der Generalprobe und dem Konzert in Wiesbaden beiwohnte, spürte den „leidenschaftlichen Aufschwung und ihr erregtes Herz“ in dieser Sinfonie. Ja, das Verhältnis zu Clara und Robert Schumann hat Brahms stark belastet. „Außer an Frau Schumann hänge ich an niemandem mit ganzer Seele“ bekannte er. Zu ihr freundschaftliche Distanz zu halten fiel ihm sehr schwer. Sofort nach ihrem Tod im Mai 1896 erkrankte er an leichter Gelbsucht. Seine Ärzte tasteten bald eine vergrößerte und verhärtete Leber. Später efeugrün im Gesicht, wurde er von Juckreiz geplagt, verfiel zusehends und starb nach einem letzten Glas Rheinwein („Ach, das schmeckt schön“) in den Armen seiner Vermieterin Celestine Truxa, bei der er 25 Jahre als Untermieter gewohnt hat und die ihn 10 Jahre lang betreut hat.
Aber zurück zur Sinfonie: „die will gehört und nicht beschrieben sein“ (Hanslick). Trotzdem: Mit 2 aufsteigenden Akkorden in f-Moll beginnt sie im 6/4 Takt, fällt ab in punktiertem Dur-Akkord um wieder in Moll fortgesetzt zu werden. Die Durchführung im 9/4 Takt beginnt mit aufsteigendem Cello-Fagottmotiv. Wild brechen sich unkontrollierte Gefühle und schwankende Stimmungen ihre Bahnen. Aber das absteigende Hauptthema des Anfangs endet nach resignierendem Diminuendo im leisen Pizzicato. Dmitri Jurowski, aus russischer Dirigentendynastie stammend, mußte das Cellospiel wegen einer Arthrose der Fingergelenke aufgeben. Inzwischen dirigiert er in ganz Europa und leitete die Sinfoniker mit Routine und Erfahrung.
Der 3. Satz – eine valse triste, „eine Perle der Melancholie“ - beginnend mit sonorem Cellothema,  eignete sich im Klassiker „Lieben Sie Brahms“ mit Ingrid Bergmann und Yves Montand als Filmmusik.
Auch im Schlußsatz verweigert uns Brahms die Schlußapotheose. Die Sinfonie stürmt nicht dem Ende entgegen und endet wie schon die vorangehenden Sätze mit Pizzicato im nachdenklichen, melancholischem Pianissimo. Starker Beifall, des offensichtlich Brahms liebenden Publikums nach dieser erstaunlich abgeklärten Version des eigentlich noch jugendlichen Dirigenten.