Pinkeln

von Hanns Dieter Hüsch

  © Jürgen Pankarz
Pinkeln
 
Ich muß mich mit Ihnen jetzt mal über die Notdurft des Menschen unterhalten. Keine Bange, es kommt nicht so schlimm, wie es sich anhört. Dennoch ist es schlimm genug finde ich, wenn man zum Beispiel auf einem ziemlich progressiven Bahnhof in einer nordrhein-westfälischen Jet-Set-Stadt fürs bloße Wasserabschlagen, wie der Dichter so schön sagt, als Mann 30 Pfennig in eine Öffnung werfen muß, sonst öffnet sich nämlich das Gatter nicht, und man steht ziemlich dumm herum und hält Ausschau, wie sonst nach einer leeren aber intakten Telefonzelle. Nun werden die Damen der Schöpfung natürlich gleich himmelweit aufschreien und klagen bzw. anklagen, daß sie dafür immer schon die Groschen hätten parat halten müssen, und daß sie immer schon – schon zu Hause - sich das nötige Kleingeld vom Haushaltsgeld abgezwackt hätten, um in einer solchen Situation nicht von einem Bein auf das andere treten zu müssen.
Akzeptiert, akzeptiert, ich hab immer gesagt, was die Frauen können, soll der Mann auch dürfen. Es geht mir also gar nicht mal so sehr um das rechtzeitige Hamstern und Einwerfen von Groschen, sondern ums Dings, na, wie heißt doch dieses elende grundsätzliche Wort, ums Prinzip geht es mir, Herrgottnochmal!! Wer erdreistet sich da tatsächlich die Anmaßung, und demzufolge die Maßnahme, fürs Pinkeln überhaupt Geld einnehmen zu lassen. Eine menschliche Not, aus der man doch eher eine Tugend machen sollte, und Tugenden sollten doch gerade umsonst sein, oder umgekehrt sollte alles sein: Ich oder alle, die müssen, sollten in diesen Bahnhofs-Etablissements 30 Pfennig herausbekommen.
Klar, wenn man sonen schönen neuen eleganten Bahnhof baut, muß das Geld auch wieder reinkommen, klar, wenn ein Nobelhotel renoviert wird, steigen die Zimmerpreise ja auch manchmal gleich bis zu 50 und 80 %.
Gut, sag ich dann immer, da kann ich ja was dafür, denn da muß ich ja nicht übernachten. Aber mein kleines Geschäft machen, das muß ich, da kann ich nichts für, und muß dafür zahlen, plem, plem. Aber nichts ist ja lukrativer als des Menschen Natur auszubeuten, da hat der Brecht schon in seinen Flüchtlingsgesprächen drauf hingewiesen. Ändern wird sich da nichts. Es sei denn, wir hören alle auf zu pinkeln. - Aber wer macht das schon mit. Wer übt da schon Solidarität.
 

© Chris Rasche Hüsch
Veröffentlichung aus „Zugabe" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.