Beckfelds Briefe

An Gianni Huesca

von Hermann Beckfeld

Hermann Beckfeld - Foto © Dieter Menne
Seine Welt, seine Leidenschaft ist die Manege, ist der Zirkus; fast scheint es so, als wenn Gianni Huesca nur dort sich wohlfühlt. Als Bienchen, seine Paraderolle, stolpert und prustet er sich in die Herzen seiner Zuschauer: Gianni Huesca, der Clown, der uns auch mit Tränen in den Augen verzaubert.
 
Lieber Gianni Huesca,
„so ist das Leben“, sagte der Clown und malte sich mit Tränen in den Augen ein strahlendes Gesicht.
 
Lieber Fumagalli,
glauben Sie mir: Ich habe in meinem Leben viele, sogar weltberühmte Clowns in der Manege gesehen, aber Sie sind für mich der allerbeste. Lange hatte ich von Ihnen nichts gehört. Aber dann zappte ich durch die TV-Programme, landete irgendwann bei der Aufzeichnung des Internationalen Circus-Festivals von Monte-Carlo und sah das wassersprühende Bienchen wieder fliegen. Sah meinen Fumagalli, den Clown mit den wippenden Fühlern auf dem Kopf und der Besenfrisur, für die Sie täglich eine halbe Dose Haarspray benötigen. Sah Ihr Gesicht mit dem nachdenklich-traurigen Lächeln.
 
„Bienchen, Bienchen, gib mir Honig“, das war schon 2001 Ihre Königsnummer, als meine Töchter sechs und zehn Jahre alt waren und uns beim Gastspiel in Essen vor Lachen die Augen tränten. Einmal standen Sie direkt vor unseren Plätzen, und wir duckten uns, aus Angst, auch Wasser abzubekommen. Es war das Jahr, in dem Sie voller Stolz mit dem eigenen Zirkus auf Tournee gingen. Zehn Monate später war der Traum geplatzt, Ihr Zirkus insolvent. Clown und Bilanzen, das paßt nicht zusammen. Ganz Italien kannte Ihren Vater, den Clown und Komiker, der bei Dreharbeiten für einen Fellini-Film starb. Ihre Mutter arbeitete als Trapezkünstlerin. Sie selbst begannen als Seiltänzer und als Artist, wurden Pantomime. Ihr Zuhause war die Manege, das Zelt, der Wohnwagen, die weite Welt. Ihre Schule war das Leben unter der Kuppel. Sie bekamen nie Noten, Sie bekamen Abend für Abend Applaus.
Ich wollte im Zirkus nie Tiere sehen. Ich mochte auch den dummen August nicht; der war für mich kein Clown, der war nur ein ausrechenbarer, unehrlich gespielter Tolpatsch. Ich haßte die Weißclowns; sie waren kalt, unnahbar. Ich mag menschliche Clowns; kleine Schlitzohren, die dem Stärkeren eins auswischen und selbst auf die rote Nase fallen; die so viel Wärme und Liebe zum Publikum ausstrahlen wie Sie, mein Fumagalli, der uns damals zwei herrlich unbeschwerte Stunden schenkte. Ihre Auftritte, sie leben weniger von der Sprache, mehr von der Pantomime, die Sie mehr als I5 Jahre eingeübt haben. Pantomime mit Bewegungen, die reduziert sind. Es ist die reduzierte klassische Kunst; Fachleute nennen sie die Commedia dell`Arte.
Der Name Huesca steht für fahrendes Volk, für Zirkus, für Illusionen, Zauberei, für Mut, für Fröhlichkeit. Schon ihr Großvater war Clown, auch er torkelte und stolperte als Bienchen durch die Manege.
 
Lieber Gianni Huesca,
nach der TV-Sendung habe ich gegoogelt, wie es Ihnen seit 2001 ergangen ist. Nach der Pleite rissen sich die größten Zirkusunternehmen der Welt um Sie, um den berühmten, einzigartigen Fumagalli, und Sie wurden auf allen Kontinenten bejubelt, mit Preisen ausgezeichnet. Ich habe aber auch gelesen, daß Ihr Sohn Nino gestorben ist. Er wurde nur 29 Jahre alt. Er War Zirkusartist; sie arbeiteten und lebten zusammen, 24 Stunden am Tag. Nach seinem Tod konnten Sie ein Jahr lang das Clownskostüm nicht anziehen. „Eine Hälfte von mit liegt bei meinem Sohn im Grab. Wie sollte ich da lustig sein?“ Doch dann spürten Sie, daß Nino gewollt hätte, daß Fumagalli weiterlebt. „So ist das Leben“, sagte der Clown und malte sich mit Tränen in den Augen ein strahlendes Gesicht.

(12.09.2015)
 
 
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.

Redaktion: Frank Becker