Nachhilfeunterricht über eine vergangene Welt und ihre totalitären Gespenster

„Salon Zuckerkandl – 1938 geschlossen“

von Renate Wagner

Foto © Barbara Palffy

Wien, KIP-Kultur im Prückel:

Salon Zuckerkandl – 1938 geschlossen
von Helmut Korherr

Premiere: 19. April 2017
 
Berta Zuckerkandl (1864-1945) – das war jüdische „Royality“ im Wien der ausgehenden Monarchie. Der Vater ein berühmter Journalist, der Gatte ein berühmter Arzt, die Schwester mit dem Bruder eines berühmten französischen Politikers verheiratet, sie selbst schwelgerische Journalistin und gesellschaftlicher Mittelpunkt der intellektuellen Elite, die sich rühmen konnte „In meinem Salon ist Österreich“. So hat sie ihre Memoiren auch benannt.
 
Die Zeit ist gnadenlos, sie fegt auch jene hinweg, die einst über die Grenzen berühmt waren. Berta Zuckerkandl zählt, obwohl einige Bücher über sie geschrieben wurden, obwohl man ihre Memoiren neu aufgelegt, ihre Briefe aus der Kriegszeit herausgebracht hat, vermutlich dazu. Autor Helmut Korherr, bekannt als geschickter Aufbereiter historischer Figuren, wollte ihr wohl eine Ehrenrettung zuteil werden lassen, die dann – ein bißchen in Schulfunkform – zu einer Aufarbeitung österreichischer Geschichte wird. Und wenn es hier vor allem um Emigration vor einem totalitären Regime geht, dann weiß man auch, warum man in dem Ganzen eine Art ungemütlicher Aktualität zu spüren meint.
Korherr stellt die „späte“ Berta in den Mittelpunkt, 1937 in Paris, wo sie sich so oft aufhielt, 1938 dann rund um den Anschluß in Wien, wo ihr die Flucht nur knapp gelang (während andere Freunde wie Egon Friedell aus dem Fenster sprangen, als die Gestapo an seine Tür klopfte). Dazwischen gibt es Rückblicke, die sie mit den „Berühmten“ ihrer Epoche zeigt – darunter Mahler und Klimt, Hofmannsthal und Schnitzler. Es gibt echtes historisches Material (Schuschniggs immer beklemmende „Gott schütze Österreich“-Rede, mit der die Regierung „der Gewalt“ wich und das Land auslieferte – was vermutlich nur ersten Blutzoll verhinderte, während der schreckliche Blutzoll nachfolgte), es gibt, immer wieder dazwischen geschossen und von Itze Grünzweig nicht hundertprozentig prägnant aus dem Off ertönend, die Spotttexte von Karl Kraus auf die Zuckerkandl und ihren Kreis. Das Bild rundet sich tatsächlich.
Ein Theaterstück ist es wohl nicht, denn der Text transportiert eigentlich nur Information in Form von verteilter Rede, tatsächlich ist es Radio, wenn man die Augen schließt. Auch bietet der Raum im Souterrain des Café Prückel, wo die Aufführung stattfindet, keinerlei echte Finessen für eine Theateraufführung, die Beleuchtung ist unzureichend, nur ein paar Projektionen helfen, die jeweilige Szene auch optisch zu verankern.
Kurt Ockermüller hat inszeniert, Erwin Bail (Bühne) und Barbara Langbein haben ausgestattet, und Ulli Fessl steht im Mittelpunkt des Geschehens, eine Dame, ein wenig betriebsam, ein wenig eitel (beides entspricht der Realität), doch eine Persönlichkeit, um die sich rechtens alles drehen kann.
 
Drei Herren teilen sich alle Rollen, wobei Kurt Hexmann die meisten Möglichkeiten erhält, als kranker Sigmund Freud, dessen Kieferfäule er auch sprachlich kenntlich macht, als wütender Gustav Klimt, der fast parodistisch ausfällt, als steifer Gustav Mahler, der sich im Zuckerkandl-Salon, wie es heißt, in Alma Schindler verliebte, und in Nebenrollen auch mit Dialekt chargierend.
Auch Roman Kollmer, u.a. als sprachlich jovialer Zuckerkandl-Gatte, als radebrechender Paul Geraldy, dessen Stücke Berta übersetzte, und am Ende als aufrecht den Ersten Weltkrieg verurteilender Arthur Schnitzler schöpft seine Möglichkeiten aus, von denen Reinhard Steiner spürbar weniger abbekommt.
Für das Publikum ist es Nachhilfeunterricht über eine vergangene Welt, die ihre glanzvollen Aspekte hatte, aber vor allem in ihren Schreckensmomenten durchaus zur Warnung dienen kann, wenn die totalitären Gespenster wieder auf uns zuwanken.
 
Renate Wagner
 
Eine Übernahme aus dem Online-Merker, Wien mit freundlicher Erlaubnis der Autorin