Beckfelds Briefe

An Karl May

von Hermann Beckfeld

Hermann Beckfeld - Foto © Dieter Menne
Sein Leben war so aufregend wie das von Winnetou, Old Shatterhand und Old Surehand, unsere Helden der Kindheit, die gegen das Böse kämpften und gewannen. Karl May hat auch verloren, die Seiten gewechselt und hat uns gerade deswegen so viel zu erzählen. Spannende Geschichten, die wir unseren Enkeln vorlesen werden.
 
Sehr geehrter Karl May,
 
irgendwie ist es eigenartig. Die Verfilmungen Ihrer Bücher von „Winnetou I“ bis zum „Der Schatz im Silbersee“ werden regelmäßig im Fernsehen gezeigt, und wenn ein Hauptdarsteller wie zuletzt Pierre Brice, der den bekanntesten Indianer der Welt spielte, in die ewigen Jagdgründe eingegangen ist, dann möchten wir uns am liebsten ums Lagerfeuer scharen, um von den Abenteuern im Wilden Westen zu schwärmen; von der großen Freundschaft zwischen Old Shatterhand und Winnetou und ihrem Kampf gegen die Schurken; von den Tränen, die wir vergossen haben, als Winnetous Schwester, die wunderschöne Nscho-tschi, starb und in „Winnetou VI“ auch unser Häuptling.
Doch was eine ganze Nachkriegsgeneration mitfiebern ließ, was wir heimlich mit Hilfe der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen haben, scheint Kinder und Jugendliche heute so kalt zu lassen wie Old Shatterhand und seinen Blutsbruder eine Horde von Banditen. Die Generation Facebook will nicht in die Prärie und Wüste geschickt werden.
Ich gestehe. Beim Aufräumen im Keller hatte ich das letzte Exemplar der grünen Reihe, „Old Surehand II“, das noch im Regal stand, bereits aussortiert, und dann habe ich es doch noch aus dem Karton geholt, in den ich Bücher gepackt hatte, die auf dem Flohmarkt verkauft werden sollten. Ich konnte es nicht übers Herz bringen, die Helden meiner Kindheit, meine Träume und Fantasien zu verramschen, zu verraten. Stattdessen habe ich zu lesen begonnen und tauchte ab in den Wilden Westen, war zufrieden, daß Old Shatterhand gleich im ersten Kapitel den Banditen in einer Spelunke zeigt, wo es langgeht. Und irgendwann, Old Shatterhand war mit Henrystutzen und Bärentöter auf seinem Rappen Hatatitla längst zu seinem Freund Winnetou geritten, und die beiden hatten Old Surehand befreit, wurde mir bewußt, daß ich dieses Buch, daß ich auch jedes andere Buch von Ihnen 50 Jahre lang nicht mehr aufgeschlagen hatte.
Natürlich weiß ich heute, daß Sie ein Hochstapler und Dieb waren, der mehr als siebeneinhalb Jahre hinter Gittern saß. Sie hatten Gegenstände und Geschichten gestohlen. Ihnen wurde Rassismus vorgeworfen, weil Sie in Ihren Romanen immer wieder Werturteile pauschalisieren. So wären Beduinen räuberisch, Chinesen verschlagen, Afrikaner einfältig.
Uns haben Sie, der jedes Detail beschreibende Ich-Erzähler, vorgegaukelt, daß Sie den Wilden Westen und den Orient wie Ihre Westentasche kennen würden. Dabei standen unsere Vorbilder längst am Marterpfahl, bevor Sie auf große Reisen gingen. Egal. Ihre Fantasie färbte die unsrige. So und nicht anders hatte unser Wilder Westen auszusehen.
Ihr Leben, Ihre Karriere waren ein Auf und Ab. Vom Kleinkriminellen, der seine ersten Erzählungen im Knast schrieb, zum verschuldeten, verarmten Schriftsteller. Anfangs verwendeten Sie verschiedene Pseudonyme, um sich Ihre Texte mehrfach honorieren zu lassen, mußten sich zudem Plagiatsvorwürfen erwehren. Danach arbeiteten Sie sich aus Schund und Schande empor ins Reich der Edelfedern; Sie wurden zum Literaturstar. Insgesamt wird die Zahl Ihrer verkauften Bücher auf 200 Millionen geschätzt, die Hälfte davon allein in Deutschland.
 
Sehr geehrter Karl May,
„Old Surehand II“ steht wieder in meinem Regal. Sollte ich irgendwann Großvater sein, werde ich meinen Enkeln von Winnetou und Old Shatterhand, von Indianern und Cowboys erzählen. Und wenn die Enkel möchten, werde ich ihnen aus dem Buch vorlesen und mit ihnen aus Zweigen und Ästen Pfeil und Bogen bauen.

Ihr
Hermann Beckfeld
(30.01.2016)
 
 

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.

Redaktion: Frank Becker