Lesenswert nicht nur für die Ruhris unter den Krimi-Freunden

Thomas Schweres – „Die Abbieger“

von Frank Becker

Solo für Frau Lippermann
 
Beste Krimi-Satire - klug und saukomisch“ - so apostrophiert der grafit Verlag „Die Abbieger“, den jüngsten (vierten) Krimi von Thomas Schweres und Hauptkommissar Schüppe und Tom Balzack. Damit liegen sie auch dank des Themas und des Erzähltalents des Autors zum größten Teil durchaus richtig, doch sorgen die teils erhebliche psychisch-physische Gewalt der Täter und drei Tote dafür, daß man gelegentlich so recht nicht über das im Grunde tatsächlich herrlich kuriose Konzept des Romans lachen mag. Der Mord Nr. 4 auf einem Nebenschauplatz ist in der schwarzhumorig Tat skurril – während die Haupthandlung gegen Ende Fargo-Züge annimmt.
 
Was also geschieht? Hier greifen wir wieder auf den Klappentext des Verlages zu und zitieren
„Klaus-Werner Lippermann hat es satt: Von Juli 2012 bis März 2016 hat er abzüglich Urlaubs- und Krankheitstagen auf den knapp sechzig Kilometern zwischen Dortmund und Duisburg 209 Stunden im Stau gestanden. Für diese größtenteils sinnlos vergeudete Lebens- und Leidenszeit soll jetzt jemand bezahlen.“ Und nicht nur dafür, denn „Klausi“ beklagt auch den grausamen Mord an seinen beiden vergötterten Karnickeln Molly und Whitey, die einem heimtückischen Anschlag in der Laubenkolonie „Emscherglück“ zu Opfer gefallen sind. Er beschließt, daß etwas geschehen muß. Gegen Staus und für die Aufklärung der Kaninchen-Morde. Zusammen mit Kumpel Alfred „Freddy“ Kruppel entführt er Dr. Rainer Weissfeld, den Chef von Straßen.NRW und fordert: 55.000,- € Lösegeld und diverse Maßnahmen zur Auflösung unnötiger Staus wie die Belebung brachliegender Baustellen, Abschaffung unnötiger Zuflußampeln an Autobahnauffahrten, Aufhebung willkürlicher Geschwindigkeitsbegrenzungen und deren Werkzeuge, der Blitzanlagen, zum Abkassieren von Autofahrern usw. usw. Als eine erste Leiche gefunden wird und die Behörden merken, daß es den Entführern ernst ist, geschehen wahre Wunder…

Thomas Schweres baut geschickt ein buntes Ermittlungs-Szenario auf, denn neben Georg Schüppe und Amin Gültekin von der Polizei Dortmund sind auch Tom Balzack von Broadfacts.TV und seine sympathische Truppe sowie der findige BILD-Reporter Andreas Schneidengel (zum Glück mal nicht allein wegen seines Arbeitgebers als Antichrist skizziert) auf die merkwürdigen Vorgänge aufmerksam geworden und stellen Fragen. Lokalkolorit, Lauben-Idylle, BVB, Schalke und regionaltypische Biere geben die Würze dazu.
Thomas Schweres erzählt flott, zeichnet durchgehend griffige Charaktere und macht nicht nur ganz nebenbei durch kluge Analysen auf den NRW-Stau-Wahnsinn aufmerksam. Denn mal ehrlich: Wer entwickelt bei den endlosen täglichen Staus (im Rundfunk werden ja fast nur noch die über 8 Kilometer Länge gemeldet) nicht auch schon mal gewisse Mordgelüste?
Wer nun alles ums Leben kommt und warum, wie die Entführer die immer schwieriger werdende Logistik ihrer Tat bewältigen und was die Ermittler trotz mancher Pannen auf ihre Spur führt, verrate ich natürlich nicht. Nur soviel: zwei absolute Nebenfiguren reißen in dem turbulenten Geschehen unwiderstehlich die Sympathie des Lesers an sich: Klausis Mutter Elfriede Lippermann (wäre eine Traumrolle für Tana Schanzara gewesen) und Rentner Heinrich Gomez – denen spendiert Thomas Schweres veritable Soli. Und was ist mit den gemeuchelten Karnickeln? Das klärt sich auch.
Lesenswert nicht nur für die Ruhris unter den Krimi-Freunden, und trotz einiger logischer Brüche und der beklagten Gewalt sehr unterhaltsam und wirklich völlig abgedreht.  
 
Thomas Schweres – „Die Abbieger“
Kriminalroman
© 2017 grafit Verlag, 282 Seiten, kartoniert – ISBN 978-3-89425-485-8
11,- € / E-Buch / 9,99 €
Weitere Informationen:  www.grafit.de