Die Kunst des richtigen Blicks und Augenblicks

Phillip Prodger – „William Eggleston - Porträts“

von Frank Becker

Die Kunst des richtigen Blicks
und Augenblicks
 
William Egglestons Porträts
 

So viele Leute halten das Leben in Schnappschüssen fest,
aber Eggleston hat etwas, das unvergleichlich ist.

Sofia Coppola

Seit mehr als 40 Jahren zählt William Eggleston (*1939) zu den großen Porträtfotografen unserer Zeit. Vermutlich ist ihm der Durchbruch der Farbe in der künstlerischen Fotografie wesentlich zu verdanken. Heute wird Egglestons Werk weltweit in Museen ausgestellt, so im Sommer/Herbst 2016 in der National Portrait Gallery, London. Anläßlich dieser großen Präsentation ist ein prächtiger Begleitband erschienen, herausgegeben von Phillip Prodger, dem international anerkannten Fachmann und derzeitigen Leiter der National Portrait Gallery.
Auf 184 großformatigen Seiten von hoher Wiedergabe-Qualität zeigt der Band einen umfassenden Querschnitt von William Egglestons Arbeit, ihrer Geschichte und ihren Einflüssen.
Der in den Südstaaten der USA geborene und aufgewachsene Eggleston hat von den frühen 60ern an „draufgehalten“, will sagen, er hat kaum inszeniert, sondern im wesentlichen die Menschen seiner Welt und seine Umwelt so abgelichtet, wie er sie im Alltag angetroffen hat. So entstand (in den frühen Jahren der 60er noch in schwarz/weiß) ein eindrucksvolles, wirklichkeitsgetreues Bild der Gesellschaft dieser Zeit des gesellschaftlichen und politischen Umbruchs, der eben auch künstlerisch neue Wege eröffnete. Neben Straßen-Fotografie und zufällig entstandenen Porträts – damals spielte das heute so dramatisch behauptete Recht am eigenen Bild noch keinerlei Rolle – hat Eggleston für kleine Inszenierungen Freunde und Verwandte, Nachbarn und Menschen seiner weiteren Umgebung vor die Kamera gebeten. Arbeiter und Angestellte, Schwarze und Weiße - Eggleston hielt überwiegend die Mittelschicht und das soziale Gefälle fest.Belangloses bekommt im Bild plötzlich Bedeutung, Nobodys werden im Warhol´schen Sinn Stars des eingefangenen Moments – wie der namenlose junge Supermarkt-Helfer mit modischer Haartolle, der die Einkaufswagen zusammenschiebt.


William Eggleston,  Devoe Money 1970
 
Der 1965 in Memphis/Tennessee genau im richtigen Moment gemachte Schnappschuß schmückt im Ausschnitt den Umschlag des Bandes. Im Buch finden wir ihn wieder, mit einem weiteren 1965er Memphis-Schnappschuß auf der gegenüberliegenden Seite, der so unerhört lebendig einen Mann zeigt, der offenbar in seiner knapp bemessenen Mittagspause vor dem Imbißstand einen Burger verdrückt, daß man mit ihm schlucken muß. Die Kunst des richtigen Blicks und Augenblicks.
Eine kleine, nicht repräsentative, ja eher sogar unmaßgebliche Auswahl aus dem Band können wir Ihnen hier zeigen, die bei weitem nicht die Bandbreite von Egglestons Arbeit aus den 60er bis 80er Jahren und die Eindringlichkeit seiner Motive ahnen läßt.

 
William Eggleston, Adyn Schuyler und Chauffeur Jasper Staples, ca. 1969/70
 
Die Ausstellung ist vom 17. März bis 18. Juni noch einmal in Melbourne/Australien zu sehen.
 
Phillip Prodger – „William Eggleston - Porträts“
Mit einem Gespräch von William Eggleston mit Phillip Prodger, Rose Shoshana, Maud Schuyler Clay und Lesley Young
© 2016 Scheidegger & Spiess / in Zusammenarbeit mit der National Portrait Gallery, London
184 Seiten, gebunden, 27,5 x 28 cm, 122 farbige und 89 s/w-Abbildungen, Chronologie, Bibliographie, Bildnachweis, Index
ISBN 978-3-85881-513-2
48,- € / 49,- sFr


William Eggleston 1973 from ‘Nightclub Portraits Series © Eggleston Artistic Trust 
 
Weitere Informationen:  scheidegger-spiess.ch